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Matthias Claudius

Matthias Claudius wurde am 15.8.1740 im holsteinischen Reinfeld geboren und starb am 21.1.1815 in Hamburg. Für immer verknüpft ist er mit dem Namen Wandsbeck, damals ein kleiner Ort vor den Toren Hamburgs unter dänischer Herrschaft, heute als Hamburg-Wandsbek in die Großstadt integriert. Nicht nur, dass er mehr als 40 Jahre dort lebte, seine knapp fünfjährige Tätigkeit als Redakteur für den Wandsbecker Bothen schuf die Grundlage für seinen literarischen Ruf.

Ich bin ein Bote und nichts mehr,
Was man mir gibt, das bring ich her,
Gelehrte und polit'sche Mär.

So begrüßte Claudius am 1.1.1771 die Leser der ersten Ausgabe des neuen Blattes. Die viermal wöchentlich erscheinende Zeitung hatte ganze vier Seiten, drei davon waren politischen Nachrichten gewidmet, eine sollte "gelehrte Texte" enthalten. Diese bestand aus Rezensionen, Prosastücken - zum Teil in Briefform - und Gedichten.

Neben literarischen Größen der Zeit, wie z. B. LessingLessing und Klopstock, schrieb Claudius dort in Gestalt des Wandsbecker Boten, der sich Asmus nannte. Diese Erzählfigur machte den besonderen Ton der Zeitung aus, denn Claudius nahm eine einfache, manchmal naive Perspektive ein. Ein Lob des bäuerlichen Landlebens durfte dabei nicht fehlen:

Abendlied eines Bauermanns

Das schöne große Taggestirne
   Vollendet seinen Lauf;
Komm wisch den Schweiß mir von der Stirne,
   Lieb Weib, und denn tisch auf!

Kannst hier nur auf der Erde decken,
   Hier unterm Apfelbaum;
Da pflegt es abends gut zu schmecken,
   Und ist am besten Raum.

Und rufe flugs die kleinen Gäste,
   Denn hör, mich hungert´s sehr;
Bring auch den kleinsten aus dem Neste,
   Wenn er nicht schläft, mit her.

Dem König bringt man viel zu Tische;
   Er, wie die Rede geht,
Hat alle Tage Fleisch und Fische
   Und Pansen und Pastet;

Und ist ein eigner Mann erlesen,
   Von andrer Arbeit frei,
Der ordert ihm sein Tafelwesen
   Und präsidiert dabei.

Gott laß ihm alles wohl gedeihen!
   Er hat auch viel zu tun,
Und muß sich Tag und Nacht kasteien,
   Daß wir in Frieden ruhn.

Und haben wir nicht Herrenfutter;
   So haben wir doch Brot,
Und schöne, frische, reine Butter,
   Und Milch, was denn für Not?

Das ist genug für Bauersleute,
   Wir danken Gott dafür,
Und halten offne Tafel heute
   Vor allen Sternen hier.

Es präsidiert bei unserm Mahle
   Der Mond, so silberrein!
Und kuckt von oben in die Schale
   Und tut den Segen h´nein.

Nun Kinder esset, eßt mit Freuden,
   Und Gott gesegn es euch!
Sieh, Mond! ich bin wohl zu beneiden,
   Bin glücklich und bin reich!


Auch wenn die Texte des Boten belehrenden Charakter haben sollten, ein Übermaß an Gelehrsamkeit stand bei einem so einfachen Mann nicht hoch im Kurs:

Der Mann im Lehnstuhl

Saß einst in einem Lehnstuhl still
    Ein viel gelehrter Mann,
Und um ihn trieben Knaben Spiel
    Und sahn ihn gar nicht an.

Sie spielten aber Steckenpferd,
    Und ritten hin und her:
Hopp, hopp! und peitschten unerhört,
    Und trieben 's Wesen sehr.

Der Alte dacht' in seinem Sinn:
    »Die Knaben machen's kraus;
Muß sehen lassen wer ich bin.«
    Und damit kramt' er aus;

Und machte ein gestreng Gesicht,
    Und sagte weise Lehr.
Sie spielten fort, als ob da nicht
    Mann, Lehr, noch Lehnstuhl wär.

Da kam die Laus und überlief
    Die Lung und Leber ihm.
Er sprang vom Lehnstuhl auf, und rief
    Und schalt mit Ungestüm:

»Mit dem verwünschten Steckenpferd!
    Was doch die Unart tut!
Still da! ihr Jungens, still, und hört!
    Denn meine Lehr ist gut.«

»Kann sein«, sprach einer, »weiß es nit,
    Geht aber uns nicht an.
Da ist ein Pferd, komm reite mit;
    Denn bist du unser Mann.«


Matthias Claudius selbst war bei weitem nicht bildungsfern. Er hatte in Jena zunächst Theologie, später Kameralwissenschaften (eine universitäre Ausbildung für Finanzbeamte) und Jura studiert. Seine literarischen Neigungen entwickelten sich in der Teutschen Gesellschaft, wo Professoren und Studenten literarische und philosophische Fragen diskutierten. Er beherrschte mehrere Fremdsprachen und war u.a. als Übersetzer aus dem Französischen tätig.

Seinen Redakteursposten beim Wandsbecker Boten verdankte er einer ähnlichen Tätigkeit, die er über zwei Jahre für die Hamburger Adreß-Comptoir-Nachrichten ausübte. Für ihn sprach sicher auch seine positive Einstellung zu den damaligen Herrschaftsverhältnissen. Claudius hatte als Sekretär des Grafen Holstein ein Jahr am dänischen Hof verbracht und sich Zeit seines Lebens für die Monarchie im Sinne des Gottesgnadentums ausgesprochen.

Der Schwarze in der Zuckerplantage

Weit von meinem Vaterlande
       Muß ich hier verschmachten und vergehn,
Ohne Trost, in Müh und Schande;
       Ohhh die weißen Männer!! klug und schön!

Und ich hab den Männern ohn Erbarmen
       Nichts getan.
Du im Himmel! hilf mir armen
        Schwarzen Mann!


Dieses Gedicht wurde 1773 im Boten veröffentlicht. Die Pointe ist, dass der Initiator der Zeitung - der örtliche Grundherr Baron von Schimmelmann - sein Geld u.a. mit karibischen Zuckerplantagen verdiente, wo Sklavenarbeit zum Alltag gehörte.

Es war typisch für Matthias Claudius, dass er darauf keine Rücksicht nahm und einen zutiefst menschlichen Standpunkt vertrat, unabhängig davon, was zu seiner Zeit von den Kanzeln der Kirchen oder den Mächtigen der Welt verkündet wurde.

Mit dem Wandsbecker Boten ging es 1775 zu Ende. Zwar wurde das Blatt überregional dank Claudius und der prominenten Mitschreiber geschätzt, aber eine Auflage von etwa 400 war auch im 18. Jahrhundert keine gesunde wirtschaftliche Basis.

Ein Verwaltungsposten in Darmstadt, den Matthias Claudius im Frühjahr 1776 antrat, blieb nur ein Zwischenspiel. Bereits Mitte 1777 zog er mit seiner Familie zurück nach Wandsbeck. Publizistisch nahm Claudius wieder den Boten-Faden auf. Bereits vor dem Ende der Zeitung hatte er unter dem Titel ASMUS omnia sua SECUM, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, I. und II. Teil (Asmus all das seine tragend .) eine Sammlung der im Boten veröffentlichten Texte herausgegeben. 1778 erschien Teil drei mit größtenteils neuen Texten. Matthias Claudius blieb dabei der Strategie des harmlosen Anscheins treu:

Der große und der kleine Hund,
oder Packan und Alard

Ein kleiner Hund, der lange nichts gerochen
   Und Hunger hatte, traf es nun
Und fand sich einen schönen Knochen
   Und nagte herzlich dran, wie Hunde denn wohl tun.

Ein großer nahm sein wahr von fern:
   »Der muß da was zum Besten haben,
Ich fresse auch dergleichen gern;
   Will doch des Wegs einmal hintraben.«

Alard, der ihn des Weges kommen sah,
   Fand es nicht ratsam, daß er weilte;
   Und lief betrübt davon, und heulte,
Und seinen Knochen ließ er da.

Und Packan kam in vollem Lauf
Und fraß den ganzen Knochen auf.

Ende der Fabel

»Und die Moral?« Wer hat davon gesprochen? -
Gar keine! Leser, bist du toll?
Denn welcher arme Mann nagt wohl an einem Knochen,
Und welcher reiche nähm ihn wohl?


Obwohl die Verkaufszahlen seiner Bücher mit der Zeit schwanden - Teil drei kam noch auf 1500 Exemplare -, veröffentlichte Matthias Claudius bis zu seinem Lebensende insgesamt acht Boten-Werke, so dass die Schreibfigur des Wandsbecker Boten für ihn sogar synonym verwendet wurde.

Teil vier (1783) enthielt keine Texte mehr aus der untergegangenen Zeitung. Dafür aber Gedichte wie Der Mensch (Empfangen und genähret / Vom Weibe wunderbar ., siehe AbschiedsgedichteAbschiedsgedichte) und Abendlied (Der Mond ist aufgegangen .), die ihre Wirkung bis ins 21. Jahrhundert entfalten sollten, oder das Kriegslied ('s ist Krieg! 's ist Krieg! ., siehe KriegsgedichteKriegsgedichte), das im scharfen Kontrast zur zeitgemäßen Heldenlyrik stand.

Die im mehrjährigen Abstand veröffentlichten gesammelten Werke entwickelten sich mehr und mehr zu einem Ventil für Claudius, mit dem er seine Position gegen anti-religiöse Tendenzen in der von Aufklärung und Rationalität brodelnde Zeitströmung stellte, die in der französischen Revolution eruptierte. Matthias Claudius setzte dem eine auf tiefer Gläubigkeit basierende Weltsicht entgegen.

Klage
(Aus dem Jahr 1793)

Sie dünkten sich die Herren aller Herrn,
   Zertraten alle Ordnung, Sitt und Weise,
   Und gingen übermütig neue Gleise
Von aller wahren Weisheit fern,
Und trieben ohne Glück und Stern
   Im Dunkeln hin, nach ihres Herzens Gelüste,
Und machten elend nah und fern.
Sie mordeten den König, ihren Herrn,
Sie morden sich einander, morden gern,
   Und tanzen um das Blutgerüste.

   Der Chor: Erbarm dich ihrer!

Sie wollten ohne Gott sein, ohn ihn leben
   In ihrem tollen Sinn;
Und sind nun auch dahingegeben,
   Zu leben ohne ihn.
Der Keim des Lichtes und der Liebe,
   Den Gott in unsre Brust gelegt,
   Der seines Wesens Stempel trägt,
   Und sich in allen Menschen regt,
   Und der, wenn man ihn hegt und pflegt,
   Zu unserm Glücke freier schlägt,
Als ob er aus dem Grabe sich erhübe -
Der Keim des Lichtes und der Liebe
   Der ist in ihnen stumm und tot;
   Sie haben alles Große, alles Gute Spott.
Sie beten Unsinn an, und tun dem Teufel Ehre,
Und stellen Greuel auf Altäre.

    Der Chor: Erbarm dich ihrer!


Allerdings war Claudius kein Verfechter einer bestimmten "wahren" Religionsrichtung, im Gegenteil: Als der befreundete Graf Friedrich Leopold von Stolberg 1800 zum Katholizismus konvertierte, war dies für den evangelischen Claudius kein Grund, diesem die Freundschaft zu kündigen. Wenn man die tiefen Gräben zwischen den beiden christlichen Richtungen bedenkt, die es bis weit ins 20.Jahrhundert gegeben hat, offenbarte Claudius eine weit über seiner Zeit stehende Toleranz.

Ein Seliger an die Seinen in der Welt

Hier ist alles heilig, alles hehr!
      Und die kleinen Erdenfreuden,
      Und die kleinen Erdenleiden
   Kümmern uns nicht mehr.
Doch wir denken hier an die da drüben,
Denken hier an sie, und lieben.


Auch auf die von ihm stets verteidigte Monarchie hatte Claudius seine eigene Sicht. Gottesgnadentum war für ihn nicht nur eine Gnade im Sinne von Ehre, sondern ganz wesentlich eine Verpflichtung:

Kron und Szepter, 1795

Die sind keine Menschen-Habe,
      Wie die Rede geht,
Sind ursprünglich Himmels-Gabe,
      Heiliges Gerät,

Damit Gott den König zieren,
      Und fein sanft und still,
Durch ihn, seine Welt berühren
      Und sie segnen will.

Jeder König sei des hehren
      Großen Rufes wert! -
Doch denn muß er nichts begehren,
      Was ein Mensch begehrt;

Muß nicht seine Wege wandeln,
      Alles Eignen rein
Nur vor Gott und mit Gott handeln,
      Sonst ist er nicht Sein;

Muß, wie Gott, zu allen Zeiten
      Nur barmherzig sein,
Und nur Licht und Recht ausbreiten;
      Sonst ist er nicht Sein

Und durch jede seiner Taten,
      Wo er des vergißt,
Hat er Gott den Herrn verraten,
      Dessen Bild er ist;

Und der Königliche Segen,
      Licht und Kraft und Glück,
Kehrt zu dem, von dessentwegen
      Er Sein war, zurück;

Kehrt zurück - der Geist entflieget,
      Weil ihm Leid geschah,
Und die große Leiche lieget
      Zur Verwesung da.

Menschen-Will und -Werk vergehet,
      Wie die Wahrheit spricht;
Was, mit Gott geeinigt, stehet,
      Das vergehet nicht;

Kann nicht überwunden werden,
      Und muß ewig stehn
Wie im Himmel so auf Erden;
      Und die Welt wird sehn:

Daß nicht Dünkel glücklich mache,
      Gottesfurcht und Scheu
Ewiglich die große Sache
      Aller Menschen sei.


Matthias Claudius' Lebenswerk begann als Dichter-Journalist, eine Tradition die bis zu Kurt Tucholsky reicht, und endete als eine Art - wie man heute sagen würde - Literatur-Blogger, der über Dinge schrieb, die ihn beschäftigten, unabhängig davon, ob sie ihm Geld brachten. Für seinen Lebensunterhalt war er letztlich vom Wohlwollen des dänischem Königshauses abhängig.

Wenn man sein literarisches Werk nicht nur auf die bekanntesten Gedichte reduziert, stellt man fest, dass es überaus vielfältig und experimentierfreudig ist. Die Basis seiner Weltsicht mag zum größten Teil schon damals keine moderne gewesen sein, doch Matthias Claudius hatte Dinge zu sagen, die selbst heute kaum etwas von ihrer Aktualität eingebüßt haben:

An den Tod
(An meinem Geburtstage)

Laß mich, Tod, laß mich noch leben! -
Sollt ich auch wenig nur nützen,
Werd ich doch weniger schaden,
Als die im Fürstenschoß sitzen
Und üble Anschläge geben,
Und Völkerfluch auf sich laden;
Als die da Rechte verdrehen,
Statt nach den Rechten zu sehen;
Als die da Buße verkünden,
Und häufen Sünden auf Sünden;
Als die da Kranken zu heilen,
Schädliche Mittel erteilen;
Als die da Kriegern befehlen,
Und grausam ihnen befehlen;
Der Helden Kriegskunst nichts nützen,
Um Länder weise zu schützen.
Tod, wenn sich diese nicht bessern,
Nimm sie aus Häusern und Schlössern!
Und wenn du sie nun genommen,
Dann Tod, dann sei mir willkommen.

 

Webtipps Matthias Claudius Matthias Claudius im Internet

Mehr als 20 der bekanntesten Claudius-Gedichte findet man bei Gedichte für alle Fälle. Erhellendes zum Thema Wandsbecker Bothe liefert ein Artikel von Annette Gerlach (PDF). Das Leben vom Matthias Claudius als Roman verarbeitet bietet der Lyrikmond. Schließlich ist auch die Matthias Claudius-Gesellschaft im Netz vertreten.

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