Ernst Toller - Das Schwalbenbuch

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Das Schwalbenbuch

Den Dichtern gleichet Ihr,
meine Schwalben

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zwei schwalben

 

Das Wunder ist da!

Das Wunder!

Das Wunder!

 

Tanze meine atmende Brust,

Tanzet Ihr wunden geketteten Augen,

Tanzet! Tanzet!

Nur im Tanze brecht Ihr die Fessel,

Nur im Tanze umrauscht Ihr die Sterne,

Nur im Tanze ruht ihr im Göttlichen,

Tanzet! Tanzet!

 

 

Im Tanze träumt das heilige Lied der Welt.

 

 

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Von den Ufern des Senegal,* vom See Omandaba

Kommt Ihr, meine Schwalben,

Von Afrikas heiliger Landschaft.

Was trieb Euch zum kalten April des kalten Deutschland?

Auf den griechischen Inseln habt Ihr gerastet,

Sangen nicht heitere Kinder Euch heiteren Gruß?

Warum nicht bautet Ihr Tempel in des Archipelagos*

Ehrwürdigen Locken?

 

Zu welchem Schicksal kamet Ihr?

 

O unser Frühling

Ist nicht mehr Hölderlins Frühling,*

Deutschlands Frühling ward wie sein Winter,

Frostig und trübe

Und bar der wärmenden

Liebe.

 

Den Dichtern gleichet Ihr, meine Schwalben.*

 

Leidend am Menschen, lieben sie ihn mit nie erlöschender

Inbrunst,

Sie, die den Sternen, den Steinen, den Stürmen tiefer

verbrüdert sind als jeglicher Menschheit.

 

Den Dichtern gleichet Ihr, meine Schwalben.

 

 

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Wo soll ich Euch eine Stätte bereiten, Vögel der Freiheit?

Ich bin ein Gefangener, und mein Wille ist nicht mein Wille.

Sing ich ein Lied der Freiheit, meldet der Wächter:

Der Gefangene sang ein revolutionäres Lied.

Das dulden die Paragraphen nicht.

Mächtige Herren sind die Paragraphen, die die Menschen über sich setzten, weil sie den Sinn* verloren. Ruten tragen sie in Händen. Die Menschen sagen: Ruten der Gerechtigkeit.

Dieses Hauses Ruten heißen:        Einzelhaft        Bettentzug Kostentzug   Hofverbot   Schreibverbot   Sprechverbot Singverbot    Leseverbot    Lichtverbot    Zwangsjacke.*

 

Ihr, meine Schwalben, wisst nichts von Gerechtigkeit und nichts von Ungerechtigkeit. Darum wisst Ihr auch nichts von Paragraphen und von Ruten ...

 

 

Wie soll ich Euch ein Brettchen holen?

Wohl ist das Haus, das mir die Menschen als Wohnung wiesen, bajonettbehütet und stacheldrahtumwehrt. Wohl hallen Tag und Nacht die Höfe von des Wächters ruhelosen Schritten. Aber die Rutenträger sagen, ein Stückchen Holz sei gefährlich.

Gefährlich der Ordnung und Ruhe und Sicherheit des Hauses.

 

Hilfreicher Freund!

Ein Stück Pappe halfest Du mir über die Zellentür fugen.

 

O bleibt Gefährten mir, Schwalben!

 

 

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Die lockende Bucht umflattern

Ängstlich die Schwalben.

Eine berührt sie.

Das Männchen!

Schon kenn ichs

Am länger sich pfeilenden

Schwanz, am roten

Spitzigen Brustmal.

Jäh erschrickt es.

Fliegt davon.

Das Weibchen schrill schreiend

Mit ihm.

 

Ahntet Ihr,

Wohin ich Euch locken wollte?

 

Ach wer sollte freiwillig

Einkehren in eine

Gefangenenzelle?

 

 

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Sechs Schritte hin

Sechs Schritte her

 

Ohne Sinn

 

Ohne Sinn

 

 

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Die Schwalben sind zurückgekehrt.

 

Sie bleiben! Sie bleiben!

 

Nach Osten blickt meine Zelle.*

 

Nach Osten!

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