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TrauergedichteTrauergedichte

Trauern ist das Umgehen mit Verlorenem und Verlust.
Da jeder Verlust eine Art Tod bedeutet und weil Dichtung konzentriert, ist der Tod neben der Liebe immer das große Thema der Literatur gewesen.
Die folgenden Gedichte zeigen Wege der Trauerarbeit, versuchen deren Spannweite zwischen Verzweiflung und Trost aufzufächern. Nikolaus Lenau erfährt durch die Trennung Liebender ein noch größeres Grausen als durch das Sterben. Theodor StormTheodor Storm schlägt vor, das Leben als Teil eines ewigen Naturlaufes zu begreifen, Friedrich Rückert verweist auf die wundenheilende Zeit. Emanuel Geibel erklärt, dass man ein wahrhaft Geliebtes niemals verlieren könne.

Tod und Trennung

Gottes Milde mocht es fügen,
Liegt ein Mensch in letzten Zügen,
Stehn am Sterbepfühl die Seinen,
Dass sie müssen weinen, weinen;

Dass sie nicht vor Tränen schauen
Das unnennbar bange Grauen,
Wie der Geist verlässt die Hülle,
Letztes Zucken, tiefe Stille.

Weh dem Tränenlosen, wehe,
Der sich wagt in Sterbens Nähe,
Denn ihm kann durchs ganze Leben
Jenes Grauen heimlich beben.

Doch ein Anblick tiefrer Trauer,
Bänger als des Sterbens Schauer,
War es, könnt ein Aug es fassen,
Wie zwei Herzen sich verlassen.

(Nikolaus Lenau, 1802-1850)

Wie wenn das Leben wär nichts andres
als das Verbrennen eines Lichts!
Verloren geht kein einzig Teilchen,
jedoch wir selber gehn ins Nichts!

Denn was wir Leib und Seele nennen,
so fest in eins gestaltet kaum,
es löst sich auf in tausend Teilchen
und wimmelt durch den öden Raum.

Es waltet stets dasselbe Leben,
Natur geht ihren ewgen Lauf;
in tausend neu erschaffnen Wesen,
stehn diese tausend Teilchen auf.

Das Wesen aber ist verloren,
das nur durch diesen Bund bestand,
wenn nicht der Zufall die verstaubten
aufs Neue zu einem Sein verband.

(Theodor Storm, 1817-1888)

Wem ein Geliebtes stirbt, dem ist es wie ein Traum,
Die ersten Tage kommt er zu sich selber kaum.
Wie er's ertragen soll, kann er sich selbst nicht fragen;
Und wenn er sich besinnt, so hat er's schon ertragen.

(Friedrich Rückert, 1788-1866)

Über alle Gräber wächst zuletzt das Gras,
Alle Wunden heilt die Zeit, ein Trost ist das,
Wohl der schlechteste, den man dir kann erteilen;
Armes Herz, du willst nicht, dass die Wunden heilen.
Etwas hast du noch, solang es schmerzlich brennt;
Das Verschmerzte nur ist tot und abgetrennt.

(Friedrich Rückert, 1788-1866)

Auferstehung

Wenn einer starb, den du geliebt hienieden,
So trag hinaus zur Einsamkeit dein Wehe,
Dass ernst und still es sich mit dir ergehe
Im Wald, am Meer, auf Steigen längst gemieden.

Da fühlst du bald, dass jener, der geschieden,
Lebendig dir im Herzen auferstehe;
In Luft und Schatten spürst du seine Nähe,
Und aus den Tränen blüht ein tiefer Frieden.

Ja, schöner muss der Tote dich begleiten,
Ums Haupt der Schmerzverklärung lichten Schein,
Und treuer - denn du hast ihn alle Zeiten.

Das Herz auch hat sein Ostern, wo der Stein
Vom Grabe springt, dem wir den Staub nur weihten;
Und was du ewig liebst, ist ewig dein.

(Emanuel Geibel, 1815-1884)

Ebenso anregend wie bei der Trauerarbeit hilfreich ist, einen Blick auf die Vorstellungen des eigenen Todes, wie sie die Autoren verdichten, zu werfen. Schier in die Dinge und Symbole der Natur eingeschmolzen erlebt Wang We die Todesnähe, Theodor FontaneTheodor Fontane hingegen in wachsender Reduktion ganz auf sich selbst; Friedrich Hebbels Phantasie nähert sich dem Sterben und früher Kindheit gleichermaßen, während Joachim RingelnatzJoachim Ringelnatz skurril seinen Ehrgeiz auf Nachruhm spuken lässt.

Herbstabend im Gebirge

Im stillen Bergtal hat es frisch geregnet.
Die Abendluft ist herbstlich kühl und rein.
Der lichte Mond scheint durch die Kiefernzweige.
Der klare Quell fließt über das Gestein.

Der Bambus raschelt unter Mädchentritten.
Der Lotos schwankt von einem Fischerkahn.
Im Augenblick ist Frühlingsduft zu Ende.
Nun fängt für dich die lange Ruhe an.

(Wang We, gestorben ca. 756;
aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)

Ausgang

Immer enger, leise, leise,
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane, 1819-1898)

Nachtgefühl

Wenn ich mich abends entkleide,
Gemachsam, Stück für Stück,
So tragen die müden Gedanken
Mich vorwärts oder zurück.

Ich denke der alten Tage,
Da zog die Mutter mich aus;
Sie legte mich still in die Wiege,
Die Winde brausten ums Haus.

Ich denke der letzten Stunde,
Da werden's die Nachbarn tun;
Sie senken mich still in die Erde,
Dann werd ich lange ruhn.

Schließt nun der Schlaf mein Auge,
Wie träum ich oftmals das:
Es wäre eins von beidem,
Nur wüsst ich selber nicht, was.

(Friedrich Hebbel, 1813-1863)

Ehrgeiz

Ich habe meinen Soldaten aus Blei
Als Kind Verdienstkreuzchen eingeritzt.
Mir selber ging alle Ehre vorbei,
Bis auf zwei Orden, die jeder besitzt.

Und ich pfeife durchaus nicht auf Ehre.
Im Gegenteil. Mein Ideal wäre,
Dass man nach meinem Tod (grano salis)
Ein Gässchen nach mir benennt, ein ganz schmales
Und krummes Gässchen, mit niedrigen Türchen,
Mit steilen Treppchen und feilen Hürchen,
Mit Schatten und schiefen Fensterluken.

Dort würde ich spuken.

(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)

Und der Tod als solcher? Da gehen die Meinungen denkbar weit auseinander: Dem hochrangigen Kleriker Henry Scott Holland gilt er als "nichts", der weltberühmte Renaissance-Künstler Michelangelo Buonarroti kann ihm nicht schnell genug entgegen eilen. Doch die eindringlichsten Worte zum Exitus scheinen mir immer noch die von Matthias ClaudiusMatthias Claudius:

Der Tod

Ach, es ist so dunkel in des Todes Kammer,
Tönt so traurig, wenn er sich bewegt
Und nun aufhebt seinen schweren Hammer
Und die Stunde schlägt.

(Matthias Claudius, 1740-1815)

 

Der Tod ist nichts,
ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen.
Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das, was ich für euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt.
Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt.
Gebraucht keine andere Redeweise,
seid nicht feierlich oder traurig.
Lacht weiterhin über das,
worüber wir gemeinsam gelacht haben.
Betet, lacht, denkt an mich,
betet für mich,
damit mein Name ausgesprochen wird,
so wie es immer war,
ohne irgendeine besondere Betonung,
ohne die Spur eines Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war.
Der Faden ist nicht durchschnitten.
Weshalb soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg,
nur auf der anderen Seite des Weges.

(Henry Scott Holland, 1847-1918;
Übersetzer aus dem Englischen unbekannt)

Hier am äußersten Rande des Lebensmeeres
Lern' ich zu spät erkennen, o Welt, den Inhalt
Deiner Freuden, wie du den Frieden, den du
Nicht zu gewähren vermagst, versprichst und jene
Ruhe des Daseins, die schon vor der Geburt stirbt.
Angstvoll blick' ich zurück, nun da der Himmel
Meinen Tagen ein Ziel setzt: unaufhörlich
Hab' ich vor Augen den alten, süßen Irrtum,
Der dem, den er erfasst, die Seele vernichtet.
Nun beweis' ich es selber: den erwartet
Droben das glücklichste Los, der von der Geburt ab
Sich auf dem kürzesten Pfad zum Tode wandte.

(Michelangelo Buonarroti, 1475-1564;
aus dem Italienischen von Hermann Grimm
)

Auf die ganz eigenartige Todespoesie, die einen Schwerpunkt bei Rainer Maria RilkeRainer Maria Rilke bildet (mit: Der Tod ist groß; zwei Sonette an Orpheus), sei hier noch verwiesen, bevor Gerrit Engelke die wohl vernünftigste Begegnung mit dem Tod in klare Worte bringt und Muhammad Hafis, soweit logischer Scharfsinn kann, alle Ängste zerstreut.

An den Tod

Mich aber schone, Tod,
Mir dampft noch Jugend blutstromrot, -
Noch hab ich nicht mein Werk erfüllt,
Noch ist die Zukunft dunstverhüllt -
Drum schone mich, Tod.

Wenn später einst, Tod,
Mein Leben verlebt ist, verloht
Ins Werk - wenn das müde Herz sich neigt,
Wenn die Welt mir schweigt, -
Dann trage mich fort, Tod.

(Gerrit Engelke, 1890-1918)

Über Sein und Nichtsein sei
Kummerlos und sorgenfrei;
Denn von jedem Sein, wie hoch,
ist Nichtsein das Ende doch.

(Muhammad Schams ad-Din Hafis, um 1320-1390;
aus dem Persischen von Friedrich Rückert)

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