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Theodor Fontane

Wie bei so vielen Schriftstellern begann auch Theodor Fontanes literarische Karriere mit der Lyrik. Seine ersten Gedichte erschienen in den Vierzigerjahren des 19. Jahrhunderts in kleinen Zeitschriften wie dem Berliner Figaro oder der Leipziger Eisenbahn.
Ende 1850 konnte Fontane eine Gedichtsammlung in Buchform beim Verleger Wilhelm Ernst unterbringen, dem die Gropiussche Buchhandlung und der Carl Reimarus-Verlag gehörten.
Diese Sammlung mit dem schlichten Titel Gedichte von Theodor Fontane wurde in den weiteren vier Auflagen, die noch noch zu Lebzeiten des Dichters erschienen, stetig erweitert. Sie ist das lyrische Hauptwerk Fontanes.
Am Anfang der Sammlung stand in allen Auflagen das folgende 1849 verfasste Gedicht:

Guter Rat

An einem Sommermorgen
Da nimm den Wanderstab,
Es fallen deine Sorgen
Wie Nebel von dir ab.

Des Himmels heitere Bläue
Lacht dir ins Herz hinein,
Und schließt, wie Gottes Treue,
Mit seinem Dach dich ein.

Rings Blüten nur und Triebe
Und Halme von Segen schwer,
Dir ist, als zöge die Liebe
Des Weges nebenher.

So heimisch alles klinget
Als wie im Vaterhaus,
Und über die Lerchen schwinget
Die Seele sich hinaus.

 

Theodor Fontanes besondere Spezialität war die Ballade. Hier griff er auf Stoffe aus der preußischen Historie oder Geschichten und Balladen aus dem englischen Sprachraum zurück. Neben John Maynard (unter BalladenBalladen) hat vor allem dieses Evergreen-Charakter:

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: "Junge, wiste 'ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn."

So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit,
Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen "Jesus meine Zuversicht",
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"

So klagten die Kinder. Das war nicht recht,
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,
Der wusste genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sprosst heraus.

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ich gew di 'ne Birn."

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

Fontanes Balladen, die 1860 als eigenständiges Werk erschienen, wurden 1875 in die zweite Auflage der Gedichte eingegliedert. Der Herr von Ribbeck war jedoch in dieser Auflage noch nicht enthalten. Er ist ein Spätwerk, das erst 1889 entstand.
Mehr als zwei Jahrzehnte konzentrierte sich Fontane fast ausschließlich auf seine Tätigkeit als Journalist und Prosa-Schriftsteller. Erst 1885 erwachte in ihm wieder Wunsch, sein lyrisches Werk zu erweitern. Er schrieb an seinen Sohn Theodor:

Seit anderthalb Wochen bin ich hier wieder allein und arbeite fleißig. Aber immer nur Verse. Daß es mir noch mal vergönnt sein würde, zu den Göttern oder Hämmeln meiner Jugend zurückzukehren, hätt ich mir nicht träumen lassen.

(zitiert nach: Theodor Fontane Gedichte I, hrsg. von Joachim Krueger und Anita Golz, Aufbau-Verlag, Berlin 1995, S. 404)

So entstanden zwischen 1885 und 1889 für die dritte Auflage seiner Gedichtsammlung noch viele Gedichte, die das Lebenswerk Fontanes abrundeten. Dazu gehörten sehr persönliche Texte, fast schon Tagebuchnotizen, oder Rückblicke auf das Leben als Schriftsteller.

Würd es mir fehlen, würd ich's vermissen?

Heute früh, nach gut durchschlafener Nacht,
Bin ich wieder aufgewacht.
Ich setzte mich an den Frühstückstisch,
Der Kaffee war warm, die Semmel war frisch,
Ich habe die Morgenzeitung gelesen
(Es sind wieder Avancements gewesen).
Ich trat ans Fenster, ich sah hinunter,
Es trabte wieder, es klingelte munter,
Eine Schürze (beim Schlächter) hing über dem Stuhle,
Kleine Mädchen gingen nach der Schule, -
Alles war freundlich, alles war nett,
Aber wenn ich weiter geschlafen hätt
Und tät von alledem nichts wissen,
Würd es mir fehlen, würd ich's vermissen?

 

So und nicht anders

Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
Eigen war mein Weg und Ziel.

Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
Andre sind reich, ich bin arm.

Andre regierten (regieren noch),
Ich stand unten und ging durchs Joch.

Entsagen und lächeln bei Demütigungen,
Das ist die Kunst, die mir gelungen.

Und doch, wär's in die Wahl mir gegeben,
Ich führte noch einmal dasselbe Leben.

Und sollt' ich noch einmal die Tage beginnen,
Ich würde denselben Faden spinnen.

 

Rückblick

Es geht zu End und ich blicke zurück.
Wie war mein Leben? wie war mein Glück?

Ich saß und machte meine Schuh;
Unter Lob und Tadel sah man mir zu.

„Du dichtest, das ist das Wichtigste ...“
„Du dichtest, das ist das Nichtigste.“

„Wenn Dichtung uns nicht zum Himmel trüge ...“
„Phantastereien, Unsinn, Lüge.“

„Göttlicher Funke, Prometheusfeuer ...“
„Zirpende Grille, leere Scheuer.“

Von hundert geliebt, von tausend mißacht’t,
So hab ich meine Tage verbracht.

 

Als knapp Siebzigjähriger erlaubte es sich Fontane auch, seine Lebenserfahrung in Versen auszudrücken, in denen er mit einem sich ergebendem "So ist es eben" die mangelnde Lernfähigket der Menschheit beklagte.

Aber es bleibt auf dem alten Fleck

„Wie konnt ich das tun, wie konnt ich das sagen“,
So hört man nicht auf, sich anzuklagen,
Bei jeder Dummheit, bei jedem Verlieren,
Heißt es: „Das soll dir nicht wieder passieren.“

Irrtum! Heut traf es bloß Kunzen und Hinzen,
Morgen trifft es schon ganze Provinzen,
Am dritten Tag ganze Konfessionen,
Oder die „Rassen, die zwischen uns wohnen“,
Immer kriegt man einen Schreck,
Aber es bleibt auf dem alten Fleck.

 

Es kribbelt und wibbelt weiter

Die Flut steigt bis an den Arrarat,
Und es hilft keine Rettungsleiter,
Da bringt die Taube Zweig und Blatt -
Und es kribbelt und wibbelt weiter.

Es sicheln und mähen von Ost nach West
Die apokalyptischen Reiter,
Aber ob Hunger, ob Krieg, ob Pest,
Es kribbelt und wibbelt weiter.

Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha,
Es brennen Millionen Scheiter,
Märtyrer hier und Hexen da,
Doch es kribbelt und wibbelt weiter.

So banne dein Ich in dich zurück
Und ergib dich und sei heiter,
Was liegt an dir und deinem Glück?
Es kribbelt und wibbelt weiter.

 

Schließlich kam der alte Fontane auch nicht umhin, sich mit dem Thema Tod zu beschäftigen. Dabei reichte die Bandbreite vom persönlichen Verlust seines ältesten Sohnes George, der im Alter von 36 Jahren starb, bis zur allgemeinen Betrachtung des Unausweichlichen.

Am Jahrestag

Heut ist’s ein Jahr, dass man hinaus dich trug,
Hin durch die Gasse ging der lange Zug,
Die Sonne schien, es schwiegen Hast und Lärmen,
Die Tauben stiegen auf in ganzen Schwärmen.
Und rings der Felder herbstlich buntes Kleid,
Es nahm dem Trauerzuge fast sein Leid,
Ein Flüstern klang mit ein in den Choral,
Nun aber schwieg’s, - wir hielten am Portal.

Der Zug bog ein, da war das frische Grab,
Wir nächsten beide sahen still hinab,
Der Geistliche, des Tages letztes Licht
Umleuchtete sein freundlich ernst Gesicht,
Und als er nun die Abschiedsworte sprach,
Da sank der Sarg und Blumen fielen nach,
Spätrosen, rot und weiße, weiße Malven
Und mit den Blumen fielen die drei Salven.

Das klang so frisch in unser Ohr und Herz,
Hinschwand das Leid uns, aller Gram und Schmerz,
Das Leben, war dir’s wenig, war dir’s viel?
Ich weiß das eine nur, du bist am Ziel,
In Blumen durftest du gebettet werden,
Du hast die Ruh nun, Erde wird zu Erden,
Und kommt die Stund’ uns, dir uns anzureihn,
So lass die Stunde, Gott, wie diese sein.

(27. September 1888)

Ausgang

Immer enger, leise, leise,
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.

 

Die beiden folgenden Auflagen der Gedichte wurden nur noch geringfügig erweitert. Fontane hatte alles gesagt, was er als Dichter zu sagen wünschte. Am 20. September 1898 erreichte auch er den letzten dunklen Punkt.

 

Webtipps Theodor Fontane Theodor Fontane im Internet

Die offiziellen Bewahrer des Fontaneschen Werkes sind das Fontane-Archiv in Potsdam und die Fontane-Gesellschaft. Beide sind mit ausführlichen Webauftritten im Netz vertreten. Ein privates Denkmal hat Jan Aßmann ihm mit seiner Fontaneseite gesetzt.

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