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William Shakespeare

ist nicht nur als Dramatiker, sondern auch als Lyriker mit seinem Zyklus von 154 Sonetten, der 1609 in London erstmals als Gesamtes gedruckt wurde, eine herausragende Gestalt seiner Epoche. Ihre Übertragungstradition ins Deutsche ist beispiellos, sie gelten nach der Bibel als das am meisten übersetzte literarische Werk. Die vieldiskutierten Rätsel um ihre biographischen Bezüge, die Idendität des Verfassers und der darin angesprochenen Personen sind wohl nie ganz aufzulösen.

Doch worüber handeln diese Gedichte eigentlich, dass fünf Jahrhunderte ihrer nicht müde wurden? Ihre Reihenfolge ist keine zufällige, sondern wohl erwogen, es sind drei inhaltliche Abschnitte erkennbar. Deren zwei ersten ist gemein, dass sie einen wohlgestalten und -gebildeten jungen Mann direkt ansprechen, den "fair boy". In den Texten Nr. 1-17 wird dieser in der alle Sonette auszeichnenden brillanten Rhetorik aufgefordert, für seine Fortpflanzung zu sorgen.

Dafür nun zwei Beispiele - wobei der für ein Kind argumentierende Vers "Es zahlt die Rechnung, löscht des Alters Schuld" wie von heutigen Rentenkassen klingt.

II

Wenn vierzig Winter deine Stirn beschweren
Und Furchen ziehn durch deiner Schönheit Flur,
Der Jugend Kleid, das wir jetzt scheu verehren,
Ein wertlos Ding, ein schlechter Lumpen nur,
Wirst du, gefragt nach dem, was einst dir eigen,
Nach Glanz und Schönheit deiner Jugendzeit
Auf deine eingesunknen Augen zeigen?
Fressende Scham wär's, Lob, das schlecht gedeiht.
Weit besser lohntest du der Schönheit Huld,
Indem du sprächst: "Dies holde Kind ist mein.
Es zahlt die Rechnung, löscht des Alters Schuld."
Denn seine Schönheit war ja einstmals dein.

So wirst du neu geboren, wenn du alt,
Warm strömt dein Blut, fühlst du es selbst auch kalt.

(übersetzt von Terese Robinson, 1927)

IX

Willst du dein Leben ehelos vergeuden,
Damit nicht eine Witwenträne fällt?
Ach! wenn du kinderlos dann müßtest scheiden,
Bangt um dich das verlaß'ne Weib: die Welt.
Die Welt wird deine Witwe sein, und weinen,
Daß sie von dir kein Ebenbild behält,
Wenn jede Erdenwitw' in ihren Kleinen
Des Gatten Gleichnis sich lebendig hält.
Sieh, was ein Wüstling in der Welt verschwendet,
Vertauscht die Stätte nur, es bleibt im Brauch;
Doch in der Welt verpraßte Schönheit endet:
Und sie zerstört verbrauchend Nichtgebrauch.
Das Herz liebt andre nicht, das solche Schmach
Selbstmordend an sich selber üben mag.

(übersetzt von Gottlob Regis, 1836)

Nach solcher Einschwörung auf Nachwuchs folgen zwei sowohl für den Gesamtzusammenhang wichtige als auch zum 2. Abschnitt des Zyklus überleitende Gedichte. Das Sonett Nr. 18 ist das berühmteste und steht an der Spitze des Abschnitts bis Nr. 126, der den "fair boy" nun als schier idealischen, ebenso begehrten wie unerreichbaren Geliebten behandelt. Ein durchgäniges Grundthema des Zyklus, die Verewigung und Unsterblichkeit, wird hier von der Fortpflanzung auf die Dichtung übertragen, um so den Geliebten zu rühmen und zu bewahren.
Das danach zu lesende 20. Gedicht bringt die homoerotisch-bisexuelle Neigung des lyrischen Sprechers auf die verbale Spitze. Deswegen ist es reizvoll, hier die recht unterschiedlichen Verdeutschungen von Terese Robinson und Stefan George zu vergleichen.

XVIII

Soll ich dich einem Sommertag vergleichen,
Der du viel lieblicher und sanfter bist?
Durch Maienblüten rauhe Winde streichen,
Und Sommers Pracht hat allzu kurze Frist.
Oft fühlst zu heiß des Himmels Aug' du brennen,
Oft hüllt zu dunkler Schleier sein Azur,
Und stets muß Schönes sich vom Schönen trennen
Durch Zufall oder Wandel der Natur.
Doch deines Sommers Glanz wird nie ermatten,
Nie von dir fallen deine Herrlichkeit,
Nie wirst du wandeln in des Todes Schatten,
In ewigen Reimen strahlst du durch die Zeit.

So lange Menschen atmen, Augen sehn,
Wird dies mein Lied, wirst du in ihm bestehn.

(übersetzt von Terese Robinson, 1927;
siehe auch die alternative Regis-Übertragung in Joachim RingelnatzSommergedichte)

XX

Ein Mädchenantlitz gab dir die Natur,
Du Herr und Herrin meiner Leidenschaft,
Ein weiblich Herz auch, doch so zärtlich nur,
Nicht falsch wie Weibesherz und flatterhaft.
Und heller strahlt dein Blick, und ruhiger kreist er,
Vergoldend jedes Ding, darauf er ruht,
Und deine Farbe, aller Farben Meister,
Berauscht die Männer, reizt der Frauen But.
Als Weib warst du gedacht; im Schaffensspiel
Hat die Natur sich in ihr Werk verliebt,
Sie schenkte dir den einen Reiz zuviel,
Der dich mir raubt, mir keinen Nutzen gibt.

So für die Frau geschaffen, gib denn ihr
Der Liebe Lust und deine Liebe mir.

(übersetzt von Terese Robinson, 1927)

Ein frauenantlitz das Natur selbsthändig
Gemalt – hast du · Herr-Herrin meiner minne ·
Ein zartes frauenherz · doch das nicht ständig
Den wechsel sucht nach falscher frauen sinne.

Ein aug so hell wie ihrs doch nicht so hehlend ·
Jed ding vergoldend worauf es sich wendet ·
Ein mann in form · den formen all befehlend ·
Der mannes aug und weibes seele blendet.

Du warst als frau gedacht als erst dich schaffte
Natur · doch sie verliebte sich beim werke ·
lndem durch zutat sie dich mir entraffte
Tat sie ein ding bei – nicht für meine zwecke.

Doch da sie dich erlas zu weibes labe ·
Sei mein dein lieben · ihnen liebes-gabe.

(übersetzt von Stefan George, 1909)

Um jene spezielle, in der Lyrik wie der abendländischen Zivilisation provozierende Form der Liebe, aber eigentlich Liebe überhaupt geht es nun in diesem zweiten und umfangreichsten Abschnitt des Zyklus. Mit all der bildkräftigen und rhetorisch intensivierten sprachlichen Fruchtbarkeit, die auch weite Teile von Shakespeares Dramen auszeichnet, wird der unerreichbare Geliebte vom lyrischen Sprecher umsponnen. Wie weit ihm dies und er dabei geht, beweisen die Sonette Nummer 27 und 89. In Nummer 65 dazwischen wird wieder der Gedanke der Verewigung in Poesie aufgegriffen, kontrastiert von scharfer Erkenntnis der allgemeinen Vergänglichkeit.

XXVII

Wenn ich nach Tages Müh'n mein Bett gewann,
Die liebe Zuflucht müdgehetzter Glieder,
Da hebt in meinem Sinn ein Wandern an,
Der Geist wird ruhlos, liegt der Leib darnieder.
In frommen Scharen ziehen die Gedanken
Wie Pilger hin zu dir, sei's noch so weit,
Die Augen heben sich, die müd' schon sanken,
Und starr'n wie blinde in die Dunkelheit.
Dann steigt, von meiner Seele Kraft beschworen,
Dein Bild empor, so rein und ohne Fehl,
Dass selbst die Nacht hell scheint und neugeboren,
Durchglüht von einem leuchtenden Juwel.

Sieh, wie mein Geist bei Nacht, mein Leib am Tag
Für dich und mich nicht Ruhe finden mag.

(übersetzt von Terese Robinson, 1927)

LXV

Wenn Erz, Stein, Erde, weite Meeresflut
Der trüben Sterblichkeit Gewalten weicht;
Wie mäße Schönheit sich mit solcher Wut,
Sie, deren Kraft der Blume Kräften gleicht?
O, wie soll Sommers honigsüßer Flor
Verwüsterischer Jahre Sturm bestehn,
Wenn weder Urgebirg noch Eisentor
So mächtig sind, dem Wandel zu entgehn?
Furchtbare Vorstellung! Wo soll vorm Sarge
Der Zeit ihr best Juwel gesichert sein?
Wer hält am schnellen Fuß zurück die arge?
Wer steuert ihren Schönheitsräuberein?
O, niemand: wird dies Wunder nicht gewährt,
Dass dunkle Tinte hell den Freund verklärt.

(übersetzt von Gottlob Regis, 1836;
siehe auch die alternative Robinson-Übertragung in Englische GedichteEnglische Gedichte)

LXXXIX

Sag · du verliessest mich um einen fehl ·
Und ich entschuldige dich für diesen schlag.
Sag · ich sei lahm · so hink ich auf befehl
Da ich mit deinem grund nicht rechten mag.

Du · Lieb · verstössest mich nicht halb so schlimm
Um dem erwünschten wechsel form zu leihn
Als ich mich selbst verstosse .. du bestimm!
So töt ich freundschaft · schau als fremder drein ..

Bin fern von deinen wegen .. nie mehr sei
Dein süss geliebter nam auf meinem mund
Dass ich Unheiliger ihn nicht entweih ..
Und etwa künde unsren alten bund.

Dich schützend stoss ich nach der eignen brust ·
Ich darf nicht lieben den du hassen musst.

(übersetzt von Stefan George, 1909)

Der dritte und letzte Abschnitt umfasst die Sonette Nr. 127-154 und vollzieht einen abrupten Objektwechsel des liebenden lyrischen Sprechers zu einer sehr real und unidealisiert gefassten Geliebten, der "dark lady". Spätestens hier wird klar, dass wir nicht mit heute üblicher Erlebnislyrik konfrontiert sind, auch wenn die persönlichen und weltzugewandten Züge für die damalige Zeit hervorstechen. Es geht Shakespeare offensichtlich um die Auseinandersetzung mit dem Petrarkismus (nach Francesco Petrarca), er will letztlich diese die europäische Lyrik seit dem 14. Jahrhundert dominierende Tradition überwinden. Nicht mehr eine transzendierte und unerreichbare Dame ist Ziel der (sogar sexuell-konkrten) Begierden, sondern ein Jüngling auf der einen und eine sehr handfeste Frau, auf welche die abgeleierten lyrischen Stereotypen so gar nicht passen. Im 130. Sonett wird sie gerade deswegen gepriesen, umso heftiger betont das 147. die Zerrissenheit der Gefühle. Dazwischen lässt die Nummer 144 "fair boy" und "dark lady" gemeinsam als schon fast wieder sarkastisch überspitzte Gegenpole auftreten.

CXXX

Von Sonn' ist nichts in meines Liebchens Blicken:
Wenn Schnee weiß, ist ihr Busen graulich gar:
Weit röter glüht Rubin als ihre Lippen:
Wenn Haare Draht sind, hat sie drahtnes Haar.
Damaskusrosen weiß und rot erblickt' ich;
Doch nicht auf Liebchens Wangen solchen Flor:
Und mancher Wohlgeruch ist mehr erquicklich,
Als der aus ihrem Munde geht hervor.
Gern hör' ich, wenn sie spricht; doch zu gestehen
Bleibt, daß Musik mir weit ein süß'rer Gruß.
Zwar keine Göttin hab' ich schreiten sehen:
Mein Liebchen, wenn es wandelt, geht zu Fuß.
Und doch, gewiß, so hoch beglückt sie mich
Als irgendeine, die man schlecht verglich.

(übersetzt von Gottlob Regis, 1836)

CXLIV

Zwei Flammen hab' ich, die im Doppelbann,
Wie Geister, zwischen Trost und Qual mich lassen darben:
Der bess're Engel ist ein schöner Mann,
Der schlimmere Geist ein Weib von bösen Farben.
Mein weiblich Unheil, bald dem Pfuhl mich zu gesellen,
Lockt meinen guten Engel von mir fort:
Zum Teufel möchte sie den Heiligen entstellen;
Dem Reinen kost ihr falsches Schmeichelwort.
Und, ob mein Engel nun schon eingefeindet,
Besorg' ich; – zwar nicht völlig ist's bekannt; –
Doch, da mich beide fliehn, und beide sich befreundet,
Fürcht' ich, ein Engel ward des andern Höllenbrand.
Und wie es steh', ich kann es nicht vermuten,
Als bis mein böser Geist verschlingt den guten.

(übersetzt von Gottlob Regis, 1836)

CXLVII

Mein Lieben ist ein Fieber, es begehrt
Nur was die Krankheit fristet; all sein Sehnen
Geht auf den Zunder, der das Übel nährt,
Dem kranken, launenhaften Reiz zu frönen.
Vernunft, mein Liebesarzt, weil ich verschmäht
Was er mir riet, hat mürrisch mich verlassen.
Und hoffnungslos erkenn ich nur zu spät
Die Mördertriebe, die den Zügel hassen.
Unheilbar bin ich, nun Vernunft zerstoben,
In ew'ger Unruh ein Besessener:
Gedank' und Urteil, wie im Wahnsinn toben
Blind um die Wahrheit irrend hin und her:
Der ich dich schön gepriesen, hell gedacht,
Die schwarz wie Höll' und finster wie die Nacht.

(übersetzt von Gottlob Regis, 1836)

Um ihn nicht in solch erotischem Inferno zu verlassen, gönnen wir uns und dem bis heute unerhörten und aparten Lyriker Shakespeare noch einen heiteren Abstecher. In einem Sonett aus seinem Versepos "Der verliebte Pilger", wird wieder ein Mann angehimmelt, diesmal sogar von der Göttin des liebenden Spannens selber:

Die Sonne hat noch kaum den Tau getrunken,
Die Herde sich zerstreut auf ihrer Flur,
Als Cytherea, ganz in Lieb versunken,
Sehnsüchtig späht nach Jung-Adonis Spur.
Dort in dem Bach, wo sich die Weiden lehnen
Fast bis zur Flut, kühlt er die Unlust oft.
Heiß war der Tag, doch heißer war das Sehnen,
Mit dem die Göttin auf sein nahen hofft.
Da kommt er, wirft den Mantel schnell vom Rücken
Und tritt ganz nackt zum nahen Ufer hin,
Die Sonne blickt herab mit Strahlenblicken,
Doch nicht so strahlend wie die Königin.

Da sieht er sie, springt in den Bach voll Glut:
"O Zeus," stöhnt sie, "was bin ich nicht die Flut?"

(übersetzt von Terese Robinson, 1927)

 

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