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Sehnsuchtsgedichte

Der Ausdruck Sehnsucht - die Sucht des Sehnens - ist ein Sahnehäubchen der deutschen Sprache, das sie ihren reichhaltigen Möglichkeiten der Wortbildung verdankt. Sehnen und Suche haben mehr miteinander zu tun, als dass sie alliterieren und sonor zusammenklingen; wie sie sich endlich noch in Sucht verdüstern, das hat lyrische Qualität, ist ein wie für die Lyrik geschaffenes Kompositum. Ensprechend gern wird ein so starkes Wort als Titel, zentrales Motiv und Thema eingesetzt.
Der Gassenhauer der deutschen Sehnsucht ist eines der Lieder der Mignon aus dem Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre"; auf Johann Wolfgang GoetheJohann Wolfgang von Goethes Seite steht auch sein anderer Evergreen dazu, Nähe des Geliebten.
Für Nikolaus Lenau wird Sehnsucht in der Liebe gar zum Fokus allen Erfahrens und Fühlens. Für Rainer Maria RilkeRainer Maria Rilke hingegen bleibt sie ungenannt und bezeichnet in dem hier zitierten Gedicht, das in seinen Roman "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" eingelegt ist, eine "Pracht" inneren Erlebens, für die sie sich zu ertragen lohnt.

 

Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh ich ans Firmament
Nach jener Seite.
Ach! der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.

Es schwindelt mir, es brennt.
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!

(Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832)

Neid der Sehnsucht

Die Bäche rauschen
Der Frühlingssonne,
Hell singen die Vögel,
Es lauschen die Blüten,
Und sprachlos ringen
Sich Wonnedüfte
Aus ihrem Busen;
Und ich muss trauern,
Denn nimmer strahlt mir
Dein Aug, o Geliebte! -
Nicht über den Wellen
Des Ozeanes,
Nicht über den Sternen
Und nicht im Lande
Der Phantasien
Ist meine Heimat;
Ich finde sie nur
In deinem Auge!
Was je mir freudig
Beseelte das Leben,
Was nach dem Tode
Mir weckte die Sehnsucht,
Entschwundner Kindheit
Fröhliche Tage
Und meiner Jugend
Himmlische Träume,
Von meinen Toten
Trauliche Grüße
Und meiner Gottheit
Stärkenden Anblick,
Das alles find ich
In deinem Auge,
O meine Geliebte!
Nun bist du ferne,
Und bitter beneiden
Muss jeden Stein ich
Und jede Blume,
Beneiden die kalten
Menschen und Sterne,
An die du vergeudest
Die süßen Blicke.

(Nikolaus Lenau, 1802-1850)

 

Du, der ichs nicht sage, dass ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
- - - - -
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
- - - - -
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist dus, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)

Ein Sehnsuchtsbild, wie es nicht deutschromantischer sein könnte, leuchtet aus Joseph von EichendorffJoseph von Eichendorff: das harmonische Fernweh einer Sommernacht fast ohne erotische Beiklänge. Wie so oft ist auch bei dem englischen Romantiker Percy Bysshe Shelley die Nacht die hohe Zeit der Sehnsucht, die ihn gar in exotische, indes vor sexuellem Begehren berstende Regionen treibt. Ernst Stadler hingegen genügt zum Entfachen glühender Sehnsucht:auch eine heimische Sommernacht. Ob die sehrende Sucht in ferne Länder oder ein Du treibt: Der Aspekt der Selbstflucht -entfremdung erfährt bei Max Dauthendey eine Wendung ins Unheimliche und Wahnhafte.

Sehnsucht

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang,
Ich hörte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klüften
Sich stürzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein,
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen Sommernacht. -

(Joseph von Eichendorff, 1788-1857)

Indische Serenade

Ich erwach aus Träumen von dir
Im ersten Schlummer der Nacht,
Wenn die Winde flüstern im Laub
Und die Sterne schimmern voll Pracht.
Ich erwach aus Träumen von dir,
Und ein magischer Zauber trieb
Meine Schritte mit stürmender Hast
Zu deinem Fenster, mein Lieb.

Die Lüfte schweigen so bang
Auf dem stillen und dunklen Strom;
Wie ein lieblicher Traum verweht
Der Champakblüten Arom;
Der Nachtigall Klagelied
Erstirbt in ihrer Brust,
Wie ich in dir vergeh,
Du mein Leben, meine Lust!

Oh, hebe mich empor!
Ich sterb, ich verschmachte hier!
Auf Lippen und Augen lass
Deine Küsse regnen mir!
Meine Wang ist bleich und kalt,
Wild stürmisch pocht die Brust!
Oh, schließ mein Herz an deins,
Wo es brechen wird vor Lust!

(Percy Bysshe Shelley, 1792-1822;
aus dem Englischen von Adolf Strodtmann)

In diesen Nächten

In diesen Nächten friert mein Blut nach deinem Leib, Geliebte.
O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser aufgestaut vor Schleusentoren,
In Mittagsstille hingelagert reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen. Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält. Wann kommst du, Blitz,
Der ihn entfacht, mit Lust befrachtet, Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel von sich sperrt? Ich will
Dich zu mir in die Kissen tragen so wie Garben jungen Klees
In aufgelockert Land. Ich bin der Gärtner,
Der weich dich niederbettet. Wolke, die
Dich übersprengt, und Luft, die dich umschließt.
In deine Erde will ich meine irre Glut vergraben und
Sehnsüchtig blühend über deinem Leibe auferstehn.

(Ernst Stadler, 1883-1914)

Sehnsucht gab mir ihr weites Kleid

Sehnsucht gab mir ihr weites Kleid,
Seine Naht ist lang wie die Ewigkeit.
Streicht die Sehnsucht um das Haus,
Trocknen die plaudernden Brunnen aus;
Die Tage kommen wie Tiere daher,
Du rufst ihre Namen, sie atmen nur schwer;
Du suchst dich im Spiegel, der Spiegel ist leer,
Hörst nur der Sehnsucht Schritt,
Du selbst bist nicht mehr.

(Max Dauthendey, 1867-1918)

Weniger Fleischliches, aber nicht minder Erotisches gewinnen der Sehnsucht in spirituell-mystischer Dimension Walt Whitman und Emanuel Geibel ab. Als Lebenselixier, das aus Alltag und Gewöhnlichkeit ausbrechen und Erfüllung finden lässt, feiert sie abschließend Hermann Conradi.

Aus dem wallenden Ozean der Menge

Aus dem wallenden Ozean der Menge kam ein Tropfen sanft zu mir,
flüsternd: Ich liebe dich, bald werde ich sterben,
ich bin einen langen Weg gereist, nur um dich zu sehen, zu berühren,
weil ich nicht sterben konnte, ehe ich dich einmal gesehen habe,
weil ich fürchtete, dich danach zu verlieren.

Nun haben wir uns getroffen, haben uns gesehen, wir sind geborgen,
kehren in Frieden zum Ozean zurück, meine Liebe,
auch ich bin Teil des Ozeans, meine Liebe, wir sind nicht völlig getrennt,
Sieh das gewaltige Rund, den Zusammenhang von allem, wie vollkommen!
Aber für mich, für dich bedeutet das unaufhaltsame Meer Trennung,
trägt uns für eine Weile auseinander, doch kann uns nicht für immer
                                                                                         auseinander tragen;
sei nicht ungeduldig - eine kurze Weile - wisse, dass ich die Luft, den Ozean                                                                                          und das Land grüße,
jeden Tag bei Sonnenuntergang um deinetwillen, meine Liebe.

(Walt Whitman, 1819-1892;
aus dem Englischen von Jim Doss und Wersch)

Für Musik

Nun die Schatten dunkeln,
Stern an Stern erwacht:
Welch ein Hauch der Sehnsucht
Flutet in der Nacht!

Durch das Meer der Träume
Steuert ohne Ruh',
Steuert meine Seele
Deiner Seele zu.

Die sich dir ergeben,
Nimm sie ganz dahin!
Ach, du weißt, dass nimmer
Ich mein eigen bin.

(Emanuel Geibel, 1815-1884)

Triumph der Sehnsucht

Das sind die Wogen der Sehnsucht,
Die fluten mir durch das Herz -
Der Sehnsucht, köstlich berückend,
Wie Knospenbotschaft im März ...

Das sind die Wogen der Sehnsucht,
Die in mir branden und blühn -
Die mich berauschen, wie schwüles
Düften von weißem Jasmin.

Wie im Traume war ich gewandelt,
Von engem Genügen erfüllt -
Vor mir ein kleines, banales
Farbloses Werkeltagsbild ...

Sie nahm so ganz mich gefangen,
Die winzige Werkeltagspflicht -
Zerschmolz mein stolzes Verlangen,
Verhing mein suchend Gesicht ...

Still war es - freudlos und leidlos
Rann Stunde um Stunde dahin -
Und keine war drängende Sehnsucht -
Und keine Empörerin ...

Nun strömen und rollen wieder
Die Schauer der Sehnsucht wild -
Zerbrochen liegt das Bildnis -
Mein Auge ist unverhüllt ...

Ich fühle unendliche Schmerzen
Und Wonnen namenlos -
Ich kreise mit den Gestirnen,
Bin klein und doch riesengroß ...

Bin Staub und doch die Achse -
Ein Punkt und doch alles zugleich ...
Ich verzehre mich in Sehnsucht -
Und bin an Erfüllung so reich! ...

(Hermann Conradi, 1862-1890)

 

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