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Schwarzer HumorGrafik Schwarzer HumorSchwarzer Humor

Um seine komische Wirkung zu erzielen, bedient sich der Schwarze Humor Themen, über die man nicht gern spricht. Das hat auf der einen Seite eine befreiende Wirkung. Auf der anderen Seite ist man doch neu- bzw. grausgierig, auch wenn man lieber drüber schweigt.

Thema Nummer eins ist daher der Tod, denn schwärzer geht's nun mal nicht. Dabei steht nicht die Schockwirkung im Vordergrund, sondern eher das Paradox, der Kontrast zwischen dem Harmlosem und dem Schrecklichen.

So ist zum Beispiel die Frage, ob ein Bestattungsunternehmer das "Vater unser" beten darf, eigentlich so harmlos wie der folgende Totengräber des 18. Jahrhunderts, wenn man nicht daran denkt, dass das Gebet die Zeile "Unser tägliches Brot gib uns heute" enthält.

Totengräberlied

Grabe, Spaden, grabe,
Alles was ich habe
Dank ich, Spaden, dir!
Reich' und arme Leute
Werden meine Beute,
Kommen einst zu mir!

Weiland groß und edel,
Nickte dieser Schädel
Keinem Gruße Dank!
Dieses Beingerippe,
Ohne Wang' und Lippe,
Hatte Gold und Rang!

Jener Kopf mit Haaren
War vor wenig Jahren
Schön wie Engel sind!
Tausend junge Fentchen
Leckten ihm das Händchen,
Gafften sich halb blind!

Grabe, Spaden, grabe,
Alles was ich habe
Dank ich, Spaden, dir!
Reich' und arme Leute
Werden meine Beute,
Kommen einst zu mir!

(Ludwig Christoph Heinrich Hölty, 1748-1776)

Und wo wir schon beim Thema sind. Ein wahrer Held des Schwarzen Humors fasst sich natürlich an die eigene blasse Nase und stirbt mit gutem Beispiel voran:

Letzte Fahrt

An meinem Todestag - ich werd ihn nicht erleben -
da soll es mittags Rote Grütze geben,
mit einer fetten, weißen Sahneschicht ...
Von wegen: Leibgericht.

Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger
aus seiner Nase - niemand haut ihm auf die Finger.
Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.
Und ich lieg da und denk: "Ach, polk dich aus!"

Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.
Nun fasst der Karlchen die Blondine unter,
die mir zuletzt noch dies und jenes lieh ...
Sie findet: Trauer kleidet sie.

Der Zug ruckt an. Und alle Damen,
die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:
vollzählig sind sie heut noch einmal da ...
Und vorne rollt Papa.

Da fährt die erste, die ich damals ohne
die leiseste Erfahrung küsste - die Matrone
sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.
Altmodisch war sie - aber sie war gut.

Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!
Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?
Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:
mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.

Auf rotem samtnen Kissen, im Spaliere,
da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere
die Orden durch die ganze Stadt
die mir mein Kaiser einst verliehen hat.

Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,
da schreiten zwoundzwonzig Nutten -
sie schluchzen innig und mit viel System.
Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem.

Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!
Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysisch.
Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!
Ich schweige tief.
Und bin mich endlich los.

(Kurt Tucholsky, 1890-1935)

Aber der Schwarze Humor kann viel mehr, als in Begräbnissen zu schwelgen. Kurt TucholskyTucholsky nutzte ihn beispielsweise auch zur Sozialkritik:

Kölner Karneval

In Köln, da stach ein buntbemützter Junge
in eine Dame, die er sich gekauft...
er stieß sie in die volle Brust, die Lunge, -
"roh" meinen Sie? - Mein Gott, er war besauft! -

Nun ja, er hatte eben einen kleenen -!
Und außerdem, auf medizinischem Gebiet:
litt seine Mutter nicht an heftigen Migränen?
Und sowas rächt sich bis ins zweite Glied! -

So spricht ein Universitätsprofesser,
erblich belastet, siehste wohl?
Nur daher sticht der Korpsstudent mits Messer -
(auch reagiert er stark auf Alkohol)...

(Kurt Tucholsky, 1890-1935)

Während der Kölner Karneval direkt mit dem Tod ins Haus fällt, tut Klabund ganz harmlos und baumelt "mit de Beene":

Ich baumle mit de Beene

Meine Mutter liegt im Bette,
Denn sie kriegt das dritte Kind;
Meine Schwester geht zur Mette,
Weil wir so katholisch sind.
Manchmal troppt mir eine Träne
Und im Herzen pupperts schwer;
Und ich baumle mit de Beene,
Mit de Beene vor mich her.

Neulich kommt ein Herr gegangen
Mit 'nem violetten Schal,
Und er hat sich eingehangen,
Und es ging nach Jeschkenthal!
Sonntag war's. Er grinste: "Kleene,
Wa, dein Port'menée ist leer?"
Und ich baumle mit den Beene,
Mit de Beene vor mich her.

Vater sitzt zum 'zigsten Male,
Wegen "Hm" in Plötzensee,
Und sein Schatz, der schimpft sich Male,
Und der Mutter tut's so weh!
Ja, so gut wie er hat's keener,
Fressen kriegt er und noch mehr,
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.

Manchmal in den Vollmondnächten
Is mir gar so wunderlich:
Ob sie meinen Emil brächten,
Weil er auf dem Striche strich!
Früh um drei krähten Hähne,
Und ein Galgen ragt, und er...
Und er baumelt mit de Beene,
Mit de Beene vor sich her.

(Klabund, 1890-1928)

Vielleicht ist der Schwarze Humor etwas überfrachtet, wenn er soziale Fragen stellt. Mehr Spaß macht er, wenn er sich einfach ans Menschliche, allzu Menschliche hält. Man könnte sogar sagen, dann macht er mit Glaßbrenner und Wilhelm BuschBusch einen Mordsspaß:

Zwei Wünsche

Ach, zwei Wünsche wünscht' ich immer
Leider immer noch vergebens.
Und doch sind's die innig-frommsten,
Schönsten meines ganzen Lebens!

Dass ich alle, alle Menschen
Könnt' mit gleicher Lieb' umfassen,
Und dass Ein'ge ich von ihnen
Morgen dürfte hängen lassen.

Adolf Glaßbrenner (1810-1876)

Wirklich, er war unentbehrlich!
Überall, wo was geschah,
Zu dem Wohle der Gemeinde,
Er war tätig, er war da.

Schützenfest, Kasinobälle,
Pferderennen, Preisgericht,
Liedertafel, Spritzenprobe,
Ohne ihn, da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,
Keine Stunde hatt' er frei.
Gestern, als sie ihn begruben,
War er richtig auch dabei.

(Wilhelm Busch, 1832-1908)

Schließlich muss noch eine Spielart des Schwarzen Humors gezeigt werden: Das Spiel mit dem Feuer, wenn es darum geht, hart am Rande des guten Geschmacks zu schreiben. Der 1934 verstorbene Joachim Ringelnatz war einer der großen Meister dieser Disziplin, dem selbst die Gewaltbilderfluten, die inzwischen aus dem Fernsehen quellen, nichts von seiner Wirkung rauben.

Silvester bei den Kannibalen

Am Silvesterabend setzen
Sich die nackten Menschenfresser
Um ein Feuer, und sie wetzen
Zähneklappernd lange Messer.
Trinken dabei - das schmeckt sehr gut -
Bambus-Soda mit Menschenblut.
Dann werden aus einem tiefen Schacht
Die eingefangenen Kinder gebracht
Und kaltgemacht.
Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt,
Die Bäuchlein gewalzt,
Die Bäckchen paniert,
Die Zehen gefalzt
Und die Äuglein garniert.
Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.
Und allen läuft das Wasser im Munde
Zusammen, ausnander und wieder zusammen.
Bis über den feierlichen Flammen
Die kleinen Kinder mit Zutaten
Kochen, rösten, schmoren und braten.
Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
Zubereitet als Karpfen blau.
Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.
Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
Auf Zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.
Die Kinder und der Karpfen sind gar.
Es wird gespeist.
Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
Besoffen und überfressen, ganz matt sind,
Dann denken sie der geschlachteten Kleinen
Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.

(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)

Bei Joachim RIngelnatzRingelnatz kriegt man noch recht schnell die Kurve, das Gedicht als Gleichnis zu betrachten, doch Wedekind treibt seinen Scherz ohne doppelten Boden mit einem Sachverhalt, der eigentlich solche Scherze nicht verträgt, oder?

Der Tantenmörder

Ich hab meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kisten-Kasten nach.

Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn Mitleid und Zartgefühl.

Was nutzt es, dass sie sich noch härme -
Nacht war es rings um mich her -
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.

Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich fasste sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. -

Ich hab meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.

(Frank Wedekind, 1864-1918)

Die Frage ist halt immer, was ist schlimmer? Jemand, der Witze über etwas macht oder jemand, der etwas macht? Vom Leser verlangt der Schwarze Humor nicht nur grimmiges Gelächter, sondern auch tiefer zu schürfen. Denn schaut man in die Geschichtsbücher, die schwarz auf weiß zeigen, wozu Menschen fähig sind, dann muss man sich eingestehen, dass Schwarzer Humor verglichen mit der Realität doch nur rosarot mit grünen Pünktchen ist.

Webtipps Schwarzer HumorSchwarzer Humor im Internet

Außer bei Gedichte für alle Fälle wird der lyrische Schwarze Humor im Web kaum gepflegt. Der Lyrikmond bietet eine Erklärung zum Ursprung des Begriffes nebst einer kleinen, schwarzen Gedichtsammlung. Ein Besuch dieser Ringelnatz-Website könnte auch einen Versuch wert sein.

 

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