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Kriegsgedichte

Schon immer ist die Lyrik zu kriegerischen Zwecken eingesetzt worden: In Form von Heldengesängen, Kameraden- und Marschliedern ganz praktisch, doch ebenso propagandistisch, von den hehren Kriegstreibereien der Antike bis hin zu den heutigen Nationalhymnen. Da die hiesige Auswahl eher den Antikriegsgedichten gewidmet ist, muss daran erinnert sein, dass Rühmung und Indienstnahme für das Kriegsunwesen der Kritik historisch und zahlenmäßig bei weitem vorausgeht. Als frühestes überliefertes Beispiel im Altgriechischen steht Kallinos, während das volkstümliche "Frommer Soldaten seligster Tod" unsere eigenen martialischen Altlasten repräsentiert.

Aufforderung

Wollt ihr ewig schlafen den Schlaf der Feigen, erweckt euch
Nicht des Nachbarn Hohn, euch nicht des Kühneren Mut?
O der Schande des Säumens! Ihr wähnt im Frieden zu ruhen
Toren, wütet der Krieg nicht in den Landen umher?
Rüstet Euch, Jünglinge, streitet und sieget! Und du, dem der Tod naht,
Furchtbar sei er dir nicht, zücke noch sterbend dein Schwert!
Streitet, Männer und Jünglinge! Schön ists und herrlich zu streiten!
Schön für die Stadt und das Land, schön für die Kinder daheim.
Schön für das Weib der Jugend! Wohlan in die blutige Feldschlacht
Dringet, schüttelt den Speer, schrecklich ertöne der Schild;
Trotzt der Gefahr und dem Tod! Er droht euch umsonst, bis des Schicksals
Hand entscheidend das Knaul eures Lebens zerreißt;
Aber nicht Einer entrinnt ihm auch dann! So fielen der Menschen
Lose: Gebeuts das Geschick, stirbt der Unsterblichen Sohn.
Ihn, der dem Waffengetümmel entfloh und den zischenden Pfeilen,
Oft verfolgte der Tod ihn in sein Haus, und er starb.
Ihn beweint nicht die Lieb und nicht die Sehnsucht des Volkes,
Aber den Helden beweint Jüngling und Jungfrau und Greis;
Wie ein Halbgott war er geehrt und geliebt; in des Bürgers
Auge war er der Turm, war er die Schanze der Stadt;
Denn er vollbracht, allein, der Taten mehr als ein Kriegsheer
Da er noch lebte, nun fleußt aller Träne für ihn!

(Kallinos, 7. Jahrhundert v.u.Z.;
aus dem Altgriechischen von Christian zu Stolberg-Stolberg)

Frommer Soldaten seligster Tod

Kein selger Tod ist in der Welt,
Als wer vorm Feind erschlagen
Auf grüner Heid auf freiem Feld,
Darf nicht hörn groß Wehklagen.
Im engen Bett, da einr allein
Muss an den Todesreihen,
Hier aber findt er Gesellschaft fein,
Falln mit, wie Kräuter im Maien.
Ich sag ohn Spott,
Kein seligr Tod
Ist in der Welt,
Als so man fällt
Auf grüner Heid,
Ohn Klag und Leid.
Mit Trommeln Klang,
Und Pfeifen-Gsang
Wird man begraben,
Davon tut haben
Unsterblichen Ruhm
Mancher Held fromm,
Hat zugesetzt Leib und Blute,
Dem Vaterland zu gute.

(Ausschnitt; aus: Des Knaben Wunderhorn, hrsg. von Achim v. Arnim und Clemens Brentano)

Eindrucksvoller als Aussage zum Krieg und ohne Tendenz ist Simondes' Epitaph auf die Kämpfer, die sich im Gefecht bei den Thermopylen (480 v.u.Z.) gegen eine persische Übermacht aufgeopfert hatten. Doch um zu dieser Zeit poetische Texte zu finden, die den Krieg ablehnen, muss man bis nach China zum alten weisen Meister Laotse wandern.

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten du habest
Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.

(Simonides, 556-468 v.u.Z.;
aus dem Altgriechischen von Friedrich von Schiller)


Waffen sind unheilvolle Geräte,
alle Wesen hassen sie wohl.
Darum will der, der den rechten SINN hat,
nichts von ihnen wissen.
Der Edle in seinem gewöhnlichen Leben
achtet die Linke als Ehrenplatz.
Beim Waffenhandwerk
ist die Rechte der Ehrenplatz.
Die Waffen sind unheilvolle Geräte,
nicht Geräte für den Edlen.
Nur wenn es nicht anders kann, gebraucht er sie.
Ruhe und Frieden sind ihm das Höchste.
Er siegt, aber er freut sich nicht daran.
Wer sich daran freuen wollte,
würde sich ja des Menschenmordes freuen.
Wer sich des Menschenmordes freuen wollte,
kann nicht sein Ziel erreichen in der Welt.
Bei Glücksfällen achtet man die Linke als Ehrenplatz.
Bei Unglücksfällen achtet man die Rechte als Ehrenplatz.
Der Unterfeldherr steht zur Linken,
der Oberführer steht zur Rechten.
Das heißt, er nimmt seinen Platz ein
nach dem Brauch der Trauerfeiern.
Menschen töten in großer Zahl,
das soll man beklagen mit Tränen des Mitleids.
Der im Kampfe gesiegt,
der soll wie bei einer Trauerfeier weilen.

(Laotse, Taoteking 31;
aus dem Chinesischen von Richard Wilhelm)

In der deutschen Literatur finden sich Antikriegsgedichte gehäuft erst im 17. Jahrhundert, so hier von Logau und Andreas GryphiusGryphius. Dies ist eine der wenigen heilsamen Folgen jener beispiellosen Schlächterei, welche die Bevölkerung von 12 auf 4 Millionen reduzierte, also des Dreißigjährigen Krieges. Ein Beispiel aus dem folgenden Jahrhundert ist Matthias ClaudiusClaudius zwar einfaches, aber den Finger auf die Wunde legendes "Kriegslied".

Krieg und Friede

Die Welt hat Krieg geführt weit über zwantzig Jahr.
Numehr soll Friede seyn, soll werden wie es war;
Sie hat gekriegt um das, o lachens-werthe That!
Daß sie, eh sie gekriegt, zuvor besessen hat.

(Friedrich von Logau, 1604-1655)

Thränen des Vaterlandes, Anno 1636

Wir sind doch nunmehr gantz, ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar, die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt, die donnernde Carthaun,
Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrath auffgezehret.

Die Türme stehn in Glutt, die Kirch ist umgekehret.
Das Rathauß ligt im Grauß, die Starcken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Hertz und Geist durchfähret.

Hir durch die Schantz und Stadt, rinnt allzeit frisches Blutt.
Dreymal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flutt,
Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fort gedrungen.

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest, und Glutt und Hungersnoth,
Das auch der Seelen Schatz, so vilen abgezwungen.

(Andreas Gryphius, 1616-1664)

Kriegslied

's ist Krieg! 's ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch' und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron' und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
's ist leider Krieg - und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

(Matthias Claudius, 1740-1815)

Ungewöhnlich 'fruchtbar' wurde das Zusammentreffen der ambitionierten Generation expressionistischer Dichter mit den Vorahnungen, Exaltationen, Fronten und Schützengräben eines industriellen Massenkrieges, bekannter als 1. Weltkrieg (1914-18). Der hielt unter diesen jungen Männern reiche Ernte, während sie ihn mit origineller, für neue Erlebens- und Erfahrungsweisen offener Sprachgebung zu bannen und brandzumarken verstanden. Es ist frappierend, wie die visionären Verse der gleichaltrigen Heym und Georg TraklTrakl mit den Kriegsgräueln koinzidieren. Heym kam bereits 1912 ums Leben, zu seiner Antizipation "Nach der Schlacht" gesellt sich Trakls Menschheit aus demselben Jahr. Sie nötigt ihm schon die verzweifelt-elegische Inbrunst ab wie dann noch mehr die Realität von Grodek (Schlachtort in Galizien Oktober 1914). Der ebenfalls noch 1914 umgekommene Kriegsteilnehmer Lichtenstein fängt dagegen beklemmend unverstellt die Gedanken vor dem Mordwerk ein.

Nach der Schlacht

In Maiensaaten liegen eng die Leichen,
Im grünen Rain, auf Blumen, ihren Betten.
Verlorne Waffen, Räder ohne Speichen,
Und umgestürzt die eisernen Lafetten.

Aus vielen Pfützen dampft des Blutes Rauch,
Die schwarz und rot den braunen Feldweg decken.
Und weißlich quillt der toten Pferde Bauch,
Die ihre Beine in die Frühe strecken.

Im kühlen Winde friert noch das Gewimmer
Von Sterbenden, da in des Osten Tore
Ein blasser Glanz erscheint, ein grüner Schimmer,
Das dünne Band der flüchtigen Aurore.

(Georg Heym, 1887-1912)

Gebet vor der Schlacht

Inbrünstig singt die Mannschaft, jeder für sich:
Gott, behüte mich vor Unglück,
Vater, Sohn und heiliger Geist,
Dass mich nicht Granaten treffen,
Dass die Luder, unsre Feinde,
Mich nicht fangen, nicht erschießen,
Dass ich nicht wie'n Hund verrecke
Für das teure Vaterland.

Sieh, ich möchte gern noch leben,
Kühe melken, Mädchen stopfen
Und den Schuft, den Sepp, verprügeln,
Mich noch manches Mal besaufen
Bis zu meinem selgen Ende.

Sieh, ich bete gut und gerne
Täglich sieben Rosenkränze,
Wenn du, Gott, in deiner Gnade
Meinen Freund, den Huber oder
Meier, tötest, mich verschonst.

Aber muss ich doch dran glauben,
Lass mich nicht zu schwer verwunden.
Schick mir einen leichten Beinschuß,
Eine kleine Armverletzung,
Dass ich als ein Held zurückkehr,
Der etwas erzählen kann.

(Alfred Lichtenstein, 1889-1914)

Den Abgesang auf diesen und alle Kriege stimmen Mühsam mit einer entlarvenden Parodie auf Marschlieder und Kraus mit einer bitterbösen Verweigerung und Anklage der Obrigkeit an. Unvergleichlich knapp und intensiv vermitteln endlich die beiden Kurzgedichte Stramms Bedrohung und Auslöschung durch jenen Vater und Totengräber aller Dinge, dem die Menschheit zu entwachsen auch weiterhin keine Anstrengung unternimmt.

Kriegslied

Sengen, brennen, schießen, stechen,
Schädel spalten, Rippen brechen,
spionieren, requirieren,
patrouillieren, exerzieren,
fluchen, bluten, hungern, frieren...
So lebt der edle Kriegerstand,
die Flinte in der linken Hand,
das Messer in der rechten Hand -
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Aus dem Bett von Lehm und Jauche
zur Attacke auf dem Bauche!
Trommelfeuer - Handgranaten -
Wunden - Leichen - Heldentaten -
bravo, tapfere Soldaten!
So lebt der edle Kriegerstand,
das Eisenkreuz am Preußenband,
die Tapferkeit am Bayernband,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Stillgestanden! Hoch die Beine!
Augen gradeaus, ihr Schweine!
Visitiert und schlecht befunden.
Keinen Urlaub. Angebunden.
Strafdienst extra sieben Stunden.
So lebt der edle Kriegerstand.
Jawohl, Herr Oberleutenant!
Und zu Befehl, Herr Leutenant!
Mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Vorwärts mit Tabak und Kümmel!
Bajonette. Schlachtgetümmel.
Vorwärts! Sterben oder Siegen!
Deutscher kennt kein Unterkriegen.
Knochen splittern, Fetzen fliegen.
So lebt der edle Kriegerstand.
Der Schweiß tropft in den Grabenrand,
das Blut tropft in den Straßenrand,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Angeschossen - hochgeschmissen -
Bauch und Därme aufgerissen.
Rote Häuser - blauer Äther -
Teufel! Alle heiligen Väter!...
Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!
So stirbt der edle Kriegerstand,
in Stiefel, Maul und Ohren Sand
und auf das Grab drei Schippen Sand -
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

(Erich Mühsam, 1878-1934; 1917)

Der sterbende Soldat

Hauptmann, hol her das Standgericht!
Ich sterb' für keinen Kaiser nicht!
Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!
Bin tot ich, salutier' ich nicht!

Wenn ich bei meinem Herren wohn',
ist unter mir des Kaisers Thron,
und hab' für sein Geheiß nur Hohn!
Wo ist mein Dorf? Dort spielt mein Sohn.

Wenn ich in meinem Herrn entschlief,
kommt an mein letzter Feldpostbrief.
Es rief, es rief, es rief, es rief!
Oh, wie ist meine Liebe tief!

Hauptmann, du bist nicht bei Verstand,
dass du mich hast hieher gesandt.
Im Feuer ist mein Herz verbrannt.
Ich sterbe für kein Vaterland!

Ihr zwingt mich nicht, ihr zwingt mich nicht!
Seht, wie der Tod die Fessel bricht!
So stellt den Tod vors Standgericht!
Ich sterb', doch für den Kaiser nicht.

(Karl Kraus, 1874-1936)

Patrouille

Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.

Krieggrab

Stäbe flehen kreuze Arme
Schrift zagt blasses Unbekannt
Blumen frechen
Staube schüchtern.
Flimmer
Tränet
Glast
Vergessen.

(August Stramm, 1875-1915)

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Außer Kriegsgedichte bei Gedichte für alle Fälle ist dem Web nichts Erwähnenswertes zu diesem Thema zu entwringen - welch ein friedlicher Teil der Realität das sein muss! -
Dennoch sollen zwei optisch beeindruckende Seiten zum Schwerpunkt der hier vorgestellten Gedichte nicht unterschlagen werden: Der Erste Weltkrieg aus Sicht der Maler und Der Erste Weltkrieg in Farbfotos (englisch).

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