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Faschingsgedichte und Fastnachtssprüche

 

An "Fastnacht" scheiden sich die Geister, manchmal sogar innerhalb eines einzigen Autorenkopfes, der zwei Zweizeiler damit betitelt:

 

Fastnacht ist die schnöde Nacht, die das
                                 Christentum fast schwärzet,
Drinnen sich die geile Welt mit dem schwarzen
                                                        Buhler herzet.    ---

Unter allen hohen Festen hat die Fastnacht
                                                             Oberstelle,
Weil man sieht, dass ihr zu Ehren sich das meiste
                                                          Volk geselle.

(Friedrich von Logau, 1605-1655)

Mit viel Geist sollte man diesem regional so unterschiedlichen Phänomen eher nicht in die Quere kommen. Hoffmann von Fallersleben kommt der Sache aus Kindersicht schon näher, denn nicht nur von Bütten, sondern auch an flotten Sprüchen und Kinderreimen wimmelt es dichter-jeckisch. Dazu zwei Kostproben, der letzte in süßer Feldforschung selbst mitgesungen und hoffentlich verständlich der deutschen Hochsprache angenähert.

Zur Fastnachtszeit

Und beut der Winter auch manche Leiden,
So will er doch nicht traurig scheiden:

Er bringt uns erst noch die Fastnachtszeit
Mit aller ihrer Lustigkeit.

Da gibt es Kurzweil mancherlei,
Musik und Tanz und Mummerei,

Pfannkuchen, Brezel, Kuchen und Weck',
Und Eier und Würste, Schinken und Speck.

Wir Kinder singen von Haus zu Haus
Und bitten uns eine Gabe aus,

Und machen's hinterdrein wie die Alten
Und wollen heuer auch Fastnacht halten.

(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, 1798-1874)

 

Wir kennen den Vater,
wir kennen den Sohn,
´s sind alle zwei Narren
seit Lebzeiten schon.

(unbekannt)

 

Die Pfann' kracht, die Pfann' kracht,
die Küchle sind geback'!
Heraus mit, heraus mit,
ich steck'se in mein' Sack!

(aus der Pfalz)

Als tolletags-weises Nordlicht unter Fasching-Ignoranten erweist sich Theodor StormTheodor Storm, dem sicher auch die feierlich alkoholische Berauschung brauchwürdig erschien, wie sie uns sodann von den alten Griechen bis zum Aufklärer Gotthold Ephraim LessingGotthold Ephraim Lessing gelobpreist wird.

 

O wär im Februar doch auch,
Wie's ander Orten ist der Brauch
Bei uns die Narrheit zünftig!
Denn wer, so lang das Jahr sich misst,
Nicht einmal herzlich närrisch ist,
Wie wäre der zu andrer Frist
Wohl jemals ganz vernünftig.

(Theodor Storm, 1817-1888)

Das Trinken

Die Erde trinkt für sich, die Bäume trinken Erde,
Vom Meere pflegt die Luft auch zu getrunken werden,
Die Sonne trinkt das Meer, der Monde trinkt die Sonnen;
Wollt dann, ihr Freunde, mir das Trinken nicht vergonnen?

(Anakreonteia, 1. Jh. v.u.Z. bis 5. Jh. n.u.Z.
aus dem Altgriechischen von Martin Opitz)

Die Stärke des Weins

Wein ist stärker als das Wasser:
Dies gestehn auch seine Hasser.
Wasser reißt wohl Eichen um,
Und hat Häuser umgerissen:
Und ihr wundert euch darum,
Dass der Wein mich umgerissen?

(Gotthold Ephraim Lessing, 1729-1781)

Sich selbst und das alljährliche Treiben satirisch betrachten die drei lyrischen Humoristen Joachim RingelnatzJoachim Ringelnatz,Wilhelm BuschWilhelm Busch und Kurt TucholskyKurt Tucholsky, die hier allesamt eine eigene Themenseite (nicht ganz ohne karnevalistische Zwerchfellambitionen) haben.

Immer wieder Fasching

Wenn der Fasching kommt, wird viel verboten.
Aber manches wird auch andrerseits erlaubt.
Dann wird nicht nur Dienstboten,
Nein auch Fürstenhäusern entstammten
Damen oder Frauen von Beamten
Die Unschuld geraubt.

Jeder lässt was springen.
Viel ist los.
Und vor allen Dingen
Beine und Popos.

Wenn sich Masken noch einmal verhüllen
Mir Phantastik, Seide, Samt und Tüllen,
Zeigt sich sehr viel Fleisch und sehr viel Schoß.
Dass wir, eh' wir heimwärtsschwanken,
Unsern steifen Hut zerknüllen
Im Gedanken:
Hätten wir die Hälfte bloß!

Also brechen wir auf!
Ach nein, bleiben wir noch,
Bis an ein Loch.
Schließlich löst sich alles doch
In Papier auf.

Man vertrollt sich lärmlich,
Wendet sich erbärmlich,
Jedermann ein abgesetzter Held.

Draußen Sturm. Es hetzen
Über Dächer kalte Wolkenfetzen
Unterm Mond. Wir setzen
Uns ins Auto, fröstelnd vor dem letzten Geld.

(Joachim Ringelnatz, 1883-1934)

Karneval

Auch uns, in Ehren sei's gesagt,
Hat einst der Karneval behagt,
Besonders und zu allermeist
In einer Stadt, die München heißt.
Wie reizend fand man dazumal
Ein menschenwarmes Festlokal,
Wie fleißig wurde über Nacht
Das Glas gefüllt und leer gemacht,

Und gingen wir im Schnee nach Haus,
War grad die frühe Messe aus,
Dann können gleich die frömmsten Frau'n
Sich negativ an uns erbau'n.

Die Zeit verging, das Alter kam,
Wir wurden sittsam, wurden zahm.
Nun sehn wir zwar noch ziemlich gern
Die Sach' uns an, doch nur von fern
(Ein Auge zu, Mundwinkel schief)
Durchs umgekehrte Perspektiv.

(Wilhelm Busch, 1832-1908)

Berliner Fasching

Nun spuckt sich der Berliner in die Hände
Und macht sich an das Werk der Fröhlichkeit.
Er schuftet sich von Anfang bis zum Ende
Durch diese Faschingszeit.

Da hört man plötzlich von den höchsten Stufen
der eleganten Weltgesellschaft längs
Der Spree und den kanälen lockend rufen:
"Rin in die Escarpins!"

Und diese Laune, diese Grazie, weißte,
die hat natürlich alle angesteckt;
die Hand, die tagshindurch Satin verschleißte,
winkt ganz leschehr nach Sekt.

Die Dame faschingt so auf ihre Weise:
Gibt man ihr einmal schon im Jahr Lizenz,
dann knutscht sie sich in streng geschlossnem Kreise,
fern jeder Konkurrenz.

Und auch der Mittelstand fühlts im Gemüte:
Er macht den Bockbierfaßhahn nicht mehr zu,
umspannt das Haupt mit einer bunten Tüte
und ruft froh: "Juhu!"

Ja, selbst der Weise schätzt nicht nur die hehre
Philosophie: auch er bedarf des Weins!
Leicht angefüllt geht er bei seine Claire,
Berlin radaut, er lächelt...
Jeder seins.

(Kurt Tucholsky, 1890-1935)

Natürlich muss manches Glied der Dichterzunft, wie hier exemplarisch Wilhelm Waiblinger, dem kollektiven Wahn kritische Gedankenschwere entgegen halten. Ludwig Tieck lässt sich hingegen nach und nach bezaubern, so dass auch die Ernüchterung nicht allzu bitter ausfällt.

Carneval

Wie, du wunderst dich, Freund, wie so urplötzlich ein Volk sich
Wochenlang wie toll, närrisch und albern beträgt?
O mein Teurer, du irrest dich sehr, schilt keinen, der heut sich
Auf dem Corso herum wie ein Besessener treibt,
So erscheint mir am wahrsten der Mensch, dies Carneval steht ihm,
Aber das Schlimmere folgt, wenn er kein Mäskchen mehr hat.

(Wilhelm Waiblinger, 1804-1830)

Carneval

Freudiger und lichter
Wird mir mit jeder Wiederholung
Dieses bunte Getümmel.
Wohltuend, befreiend,
Wirkt so die Torheit
Froh und ungestört geübt,
Sie löset und lüftet
Des Missbehagens und Zürnens,
Der Bosheit, des Grolles
Tausendfältige verschlossene Ursachen.
Was Weisheit und Gesetz nicht vermag,
Die Religion selbst ohnmächtig bekämpft,
Beschwichtigt der Taumel des erdichteten Wahnsinns.

Und die schönen Larven
Hat Amor selbst erfunden,
Sie verstricken Aug' und Herz.
Die reizenden Gewänder, der freie Fuß,
Das schlanke volle Bein, der weiße Nacken
Und die verhüllten dunkeln Augen
Betören den Sinn.
Doch wieder ernüchtert
Erwacht die Seele vom Rausch,
Wenn am Abend
Die Schöne statt der Maske
Das eigne Antlitz zeigt,
Der Reiz erstirbt, und die Alltäglichkeit
Spricht aus den ermüdeten Gestalten.

(Ludwig Tieck, 1773-1853)

Es scheint also gar ein Leben nach den närrischen Tagen zu geben. Dieser nach einem katholischen Ritual benannte Mittwoch mag denn als Memento Mori, Beginn der Fastenzeit oder schlicht Rücksturz in den nüchternen Alltag stehen, wie es Alfred Lichtenstein so trefflich beschreibt:

Aschermittwoch

Gestern noch ging ich gepudert und süchtig
In der vielbunten tönenden Welt.
Heute ist alles schon lange ersoffen.

Hier ist ein Ding.
Dort ist ein Ding.
Etwas sieht so aus.
Etwas sieht anders aus.
Wie leicht pustet einer die ganze
Blühende Erde aus.

Der Himmel ist kalt und blau.
Oder der Mond ist gelb und platt.
Ein Wald hat viele einzelne Bäume.

Ist nichts mehr zum Weinen.
Ist nichts mehr zum Schreien.
Wo bin ich -

(Alfred Lichtenstein, 1889-1914)

 

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Eine umfassende Seite ist, wie schon der Titel nahelegt, Fasching-Fastnacht-Karneval; auch literarisch kann man sich hier vielfältig versorgen.
Die hiesige Auswahl entstammt indes der Internetanthologie Gedichte für alle Fälle, die Gedichte zum Fasching, Aschermittwoch, Fastnachtssprüche und Karnevalslieder gesammelt hat.

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