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Eugen RothEugen Roth

Ein Mensch schaut in die Zeit zurück
Und sieht: Sein Unglück war sein Glück.

Dieser mit Vieldeutung überschriebene Zweizeiler steht am Schluss des 1948 erschienenen Gedichtbandes Mensch und Unmensch von Eugen Roth. Er ist kennzeichnend für den Lebensweg des Dichters. Wann immer ein Tiefpunkt erreicht scheint, entpuppt er sich im Nachhinein als Glücksfall.

Ein Mensch im Unglück

Ein Mensch namens Eugen Roth, geboren 1895 in München, zieht 1914 begeistert in den Krieg und kommt schon bald schwerverletzt zurück. Durch dieses Unglück in den ersten Kriegsmonaten bleibt ihm jedoch Schlimmeres erspart. Er nimmt eine anti-militaristische Einstellung aus der Kriegserfahrung mit und beginnt ein Studium, das er 1922 als Dr. phil. abschließt.

1923 veröffentlicht Eugen Roth seinen ersten Gedichtband Der Ruf. Damit scheint seine literarische Karriere allerdings auch schon beendet. Er tritt in die Fußstapfen seines Vaters, arbeitet als Lokaljournalist für die Münchener Neuesten Nachrichten und wird 1933 nach Machtübernahme der Nazis fristlos entlassen. Anti-Militarismus ist nicht mehr gefragt.

Ein Mensch im Glück

Wieder ein Tiefpunkt und doch der Beginn einer völlig unerwarteten Erfolgsgeschichte. Nach zehn Ablehnungen traut sich 1935 der Verlag Alexander Duncker aus Weimar, den zwar völlig unpolitischen, aber von einem "politisch unzuverlässigen Subjekt“ stammenden Gedichtband Ein Mensch zu veröffentlichen.

Markenzeichen dieses Bandes ist, dass alle Gedichte mit "Ein Mensch" beginnen. Auch inhaltlich menschelt es sehr, doch setzt der Autor gerade damit einen Kontrapunkt zur Nazi-Ideologie des heroischen Ariers. Eugen Roth zeigt heiter, aber bestimmt, wie sich der Mensch selbst und andere belügt.

Da missrät beispielsweise Das Schnitzel: "Jedoch, da er es selbst gebraten, / Tut er, als wär es ihm geraten". Ein anderer Mensch schreibt böse Briefe, die nie ankommen (Briefe, die ihn nicht erreichten ...), und wer sich genau genommen schämen müsste, beschließt, es lieber nicht so genau zu nehmen (Ein Ausweg). Doch selbst ein Mensch, der tapfer mit dem Schicksal kämpft, bemüht Vergebliches Heldentum: "Und trotzdem geht es schlimm hinaus: / Das Schicksal hält es länger aus."

Der harmlose Schein dieser Gedichte schützt den Autor und verhilft ihm zu einem überwältigenden Erfolg: Die verkaufte Auflage von Ein Mensch beträgt bis Kriegsende mehr als 500.000 Exemplare.

Eugen Roth kann weitere Gedichtbände während der Nazizeit veröffentlichen: Die Frau in der Weltgeschichte 1936, Das große Los 1938 und Der Wunderdoktor 1939. Als besondere Ironie der Geschichte wird der Anti-Militarist Roth zur Truppenbetreuung auf Lesereise geschickt.

Ein Mensch danach

Auch wenn seine Gedichte dem Zeitgeist der Nazis zuwiderlaufen, ist Eugen Roth kein Widerstandskämpfer, sondern ein Mensch, der zu überleben sucht und sich mitschuldig macht.

Daran lässt er in seinem 1948 erschienenen Gedichtband Mensch und Unmensch keinen Zweifel. Gleich das erste Gedicht trägt den Titel Einsicht und schildert die Ausflüchte der Menschen nach 45, um feststellend zu schließen:

Kein Mensch will es gewesen sein.
Die Wahrheit ist in diesem Falle:
Mehr oder minder warn wirs alle!

Doch Eugen Roth kennt seinen Menschen zu gut, um zu glauben, dass sich diese Einsicht durchsetzt. Im Gedicht Verwandlung schildert er den wechselseitigen Prozess: Wenn jeder Dreck am Stecken hat, wird aus dem Wissen um die Taten des Anderen, ein Glaubenwollen seiner Lügen bis sich niemand mehr erinnern kann, etwas Böses getan zu haben.

Neben vielen anderen Gedichtbänden, die insgesamt Millionenauflagen erreichen, erscheint 1964 ein letzter Menschenversuch: Der letzte Mensch. Im Alter schwankt Eugen Roth zwischen Feingefühl: "Nichts ist ganz falsch und nichts ganz richtig." und dem skeptischen Blick auf den Mitmenschen in der Straßenbahn, der einem den Gedanken an "jede Art Unsterblichkeit" vergällt.

Ein Mensch bis zum Schluss

Als ganzer Mensch findet natürlich auch Eugen Roth das Haar in der Suppe seines Erfolges. Trotz eines Millionenpublikums und öffentlicher Ehrungen möchte er mehr sein als ein Humorist, den die Literaturgeschichte links liegen lässt.

Doch vielleicht ist seine Klage auch nur ein Zeichen besonderer Vorsicht, zu der er im ersten Mensch-Band rät. Denn wer zugibt, dass es ihm gut geht, muss damit rechnen, dass "Der Neid, der rasche Arbeit tut, / Hätt ihn vielleicht schon über Nacht / Um all sein Gutergehn gebracht."

So lebt er bis zu seinem Tod 1976 neidlos anerkannt in München und war und blieb und ist - ein Mensch.

 

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Eine Würdigung Eugen Roths anlässlich seines 25. Todestages bietet das DeutschlandRadio.
Der Sprecher Christian Bergmüller präsentiert nicht nur eine Roth-Biographie, sondern auch seine CD mit "Ein Mensch"-Gedichten.

 

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