sind in der christlich-abendländischen Kultur ein heikles Sujet. Das Verheimlichte oder gar Verbotene jongliert zwischen speziellem Reiz und kategorischer Abscheu. Aber unabhängig davon schreien leidenschaftliche Erlebnisse nach wahr- und leibhaft starken Worten und Rhythmen. Dafür prädestiniert war die Generation der Expressionisten: Stramm bringt es brausend-spielerisch auf den Gipfel, Klabund mit apokalyptischer Wucht:
Deine Finger perlen
Und
Kollern Stoßen Necken Schmeicheln
Quälen Sinnen Schläfern Beben
Wogen um mich.
Die Kette reißt!
Dein Körper wächst empor!
Durch Lampenschimmer sinken deine Augen
Und schlürfen mich
Und
Schlürfen schlürfen
Dämmern
Brausen!
Die Wände tauchen!
Raum!
Nur
Du!
(August Stramm, 1874-1915)
Pflanze auf meine Lenden
Deiner Liebesküsse Raserei:
Sieh: mein Schrei
Brüllt wie eine Fackel auf zu Weltenbränden.
Lass die Sterne bleich ins Nichts verrinnen,
Lass die Erde sich in Asche modern,
Wir im Welteninnen
Werden wie die Hölle ewig lodern.
(Klabund, 1890-1928)
So feurig geht es in der deutschen Literatur jedoch selten und noch nicht allzu lange zu. Wegen der Hemmschuhe der herrschenden Moral und des Urheberechts fehlen unserer Auswahl nicht nur Autorinnen, sondern geht es auch betont altmodisch zu. Zunächst ist damit das folgende Schönheitsideal gemeint: Üppige Formen sind für Thoma das aufklärende Vehikel, das "Mädgen" des barocken Celander kann man sich gar nicht anders vorstellen, und "Gliedermassen" überwältigen auch noch Heine.
Der alte Storch wird nun begraben.
Ihr Kinder lernt im Unterricht,
Warum wir dies und jenes haben,
Und es verbreitet sich das Licht.
Zu meiner Zeit, du große Güte!
Da herrschte tiefe Geistesnacht.
Man ahnte manches im Gemüte
Und hat sich selber was gedacht.
Mich lehrte dieses kein Professer;
Nur eine gute, dicke Magd
Nahm meine Unschuld unters Messer
Und machte auf dieselbe Jagd.
Ihr Unterricht war nicht ästhetisch,
Im Gegenteil, sehr weit entfernt.
Und doch, wenn auch nicht theoretisch,
Ich hab' es ziemlich gut gelernt.
(Ludwig Thoma, 1867-1921)
Als einer im Schlaff verschwenderisch gewesen
Mein Mädgen, laß hinfort mich nicht verschwendrisch sein,
Und nimm die Perlen-Milch in deine Muschel ein;
Groß Schade, dass sie wird so liederlich versprützet,
Da wo sie keinem Schooß, auch nicht den Tüchern nützet.
Dein Hartseyn gegen mich verschwendet meinen Schatz,
Vergönne mir hinfort in deinem Schooße Platz,
Und laß den Liebes-Thau daselbsten sich sich ergiessen,
Wo er mit größrer Lust wird als im Schlaffe fliessen,
Dein dürrer Acker wird alsdenn von Wollust feist,
Die Brüste härten sich, die Lust entzückt den Geist;
Die Anmuth, die durchdringt des ganzen Leibs Glieder,
In Lachen steigt man ein, mit Kitzeln kommt man wieder,
Nichts denn Ergötzung bringt er deinem Marmor-Schooß,
Die Venus spannt dir denn den Jungfern-Gürtel loß,
Und lässt dir alle Lust, die sie besitzet, schmecken,
Der Hymen wird nach Schmerz den süßten Scherz erwecken.
Ach stelle doch, mein Kind, die Sprödigkeit nur ein!
Laß deine Muschel mir nicht mehr verschlossen seyn,
Eröffne ihren Helm, die Nahrung zu empfangen,
Wo in dem Liebes-Thau die Anmuths-Perlen prangen.
Sperrt nun dein Muschel-Schloß die Thore willig auf,
Und hemmt kein Widrigseyn mir meinen Liebes-Lauff,
So soll der Liebes-Safft mit süssen Quellen fliessen,
Und sich mit vollem Strohm in deine Muschel giessen.
(Celander, um 1700)
Diese schönen Gliedermassen
Kolossaler Weiblichkeit
Sind jetzt, ohne Widerstreit,
Meinen Wünschen überlassen.
Wär ich, leidenschaftentzügelt,
Eigenkräftig ihr genaht,
Ich bereute solche Tat!
Ja, sie hätte mich geprügelt.
Welcher Busen, Hals und Kehle!
(Höher seh ich nicht genau.)
Eh' ich ihr mich anvertrau,
Gott empfehl ich meine Seele.
(Heinrich Heine, 1797-1856)
Heutzutage scheint zwar statt Fleisches- eher Knochenlust gesucht, doch an Ausflüchten waren auch die historischen Liebeslyriker nicht verlegen, sei es in Phantasien wie Baudelaire mit seiner überbarocken Riesin oder Goethe mit seinem Jüngling Ganymed, der darum so viele unterschiedliche Lesarten erlaubt. Oder man nahm (und nimmt weiter gern) einen Teil fürs Ganze, am Liebsten den Kuss.
Zur Zeit, als die Natur, von wilder Kraft durchdrungen,
Gewaltge Kinder trug, hätt ich nach meinem Sinn
Bei einer Riesin gern gelebt, bei einer jungen,
Wie eine Katze streicht um eine Königin.
Wie Leib und Seele ihr bei grimmem Spiel erblühten
Und wuchsen, hätt ich gern erschaut von Anbeginn,
Erspäht, wie in der Brust ihr finstre Flammen glühten
Und Nebel traumhaft zog durch ihre Augen hin.
Mit Muße hätte ich erforscht die prächtgen Glieder,
Gestiegen wäre ich die stolzen Kniee nieder,
Und oft im Sommer, wann der Sonnen kranker Strahl
Sie müde hingestreckt quer durch die weiten Wiesen,
Hätt ich geschlummert in der Brüste Schattental,
Gleich wie ein friedlich Dorf am Fuß von Bergesriesen.
(Charles Baudelaire, 1821-1867;
aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth)
Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!
Dass ich dich fassen möcht
In diesen Arm!
Ach, an deinem Busen
Lieg' ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.
Ich komm, ich komme!
Wohin? Ach, wohin?
Hinauf, hinauf strebt's,
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe,
Mir, mir!
In euerm Schoße
Aufwärts,
Umfangend umfangen!
Aufwärts
An deinen Busen,
Alliebender Vater!
(Johann Wolfgang von Goethe, 1749-1832)
Auf die Hände küsst die Achtung,
Freundschaft auf die offne Stirne,
Auf die Wange Wohlgefallen,
Selge Liebe auf den Mund;
Aufs geschlossne Aug die Sehnsucht,
In die hohle Hand Verlangen,
Arm und Nacken die Begierde,
Überall sonst hin Raserei.
(Franz Grillparzer, 1791-1872)
Ich war bei Chloen ganz allein,
Und küssen wollt ich sie:
Jedoch sie sprach: sie würde schrein,
Es sei vergebne Müh!
Doch wagt ich es, und küsste sie,
Wie oft? fällt mir nicht ein!
Und schrie sie nicht? Ja wohl, sie schrie - -
Doch lange hinter drein.
(Christian Felix Weiße, 1726-1804)
Zum Ende der passionierten Wortspiele noch einmal ein doppelter Kontrast: Rilke beschreibt ebenso distanziert wie einfühlsam den Liebesakt im Gebetston, während Tucholsky beim König der Tiere in die Schule geht und zu vertiefter Liebes-Weisheit gelangt.
Sieh, wie sie zueinander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist.
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache und sieh: sie bekommen zu sehn.
Lass sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.
(Rainer Maria Rilke, 1875-1926)
Als jener junge Schopenhauer
am Löwenkäfig in Berlin
der gelben Bestien Wollustschauer
sah stumm an sich vorüberziehn -
da schrieb er auf in seinem Büchlein:
»Der Löwe liebt nicht vehement.
Von Leidenschaft auch nicht ein Rüchlein;
der schwächste Mann scheint mehr potent.«
Der Wille macht noch kein Gewitter.
Gehirn! Gehirn gehört dazu.
Der muskelstarke Eisenritter
gibt bald im Frauenschoße Ruh.
Du liebst. Und heller noch und wacher
fühlt dein Gehirn und denkt dein Herz.
Der Phallus ist ein Lustentfacher -
du stehst und schwingst dich höhenwärts.
Du liebst. Wo andre dumpf versinken,
bist du erst tausendfältig da.
Lass mich aus tausend Quellen trinken,
du Venus Reflectoria -!
Berauscht - ach, dass ichs stets so bliebe!
Getönt, bewusst, erhöht, gestuft -
Das ist die wahre Löwenliebe.
Du Raubtierfrau!
Es ruft. Es ruft.
(Kurt Tucholsky, 1890-1935)
Gedichte für alle Fälle hat sowohl traditionelle erotische Gedichte als auch solche mit komischem Akzent gesammelt; von dort ist auch die Auswahl hier entnommen.
Nicht nur Gedichte, auch klassische Erzählungen in Deutsch und Englisch offeriert diese Erotische Literatursammlung.
Erotische Gedichte aus dem Poesiealbum
blättert eine umfangreiche Sammlung heutiger Erzeugnisse auf, an der sich jeder mit eigenen lyrischen Ergüssen beteiligen kann.
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