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Erich KästnerErich Kästner

Geboren 1899 in Dresden ist Erich Kästner vor allem als Kinderbuchautor bekannt: Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton, Das fliegende Klassenzimmer. Mindestens eins dieser Bücher hat wahrscheinlich jeder gelesen oder als Verfilmung kennengelernt.

Angefangen hat Erich Kästners literarische Karriere jedoch als Lyriker. So erscheinen seine ersten Gedichte bereits 1919/20 in der Theaterzeitschrift Der Zwinger und der Sammlung Dichtungen Leipziger Studenten. Auch die erste Buchveröffentlichung 1928 ist eine Gedichtsammlung: Herz auf Taille.

Gebrauchslyrik

Die Schublade, in die Erich Kästner gesteckt wird, trägt die abwertende Bezeichnung Gebrauchslyrik. Doch ist dieser Begriff ein Eigentor, wie Kästner in seinem zweiten Gedichtband Lärm im Spiegel (1929) in einer "prosaischen Zwischenbemerkung" zeigt:

Man hat für diese Art von Gedichten die Bezeichnung 'Gebrauchslyrik' erfunden, und die Erfindung beweist, wie selten in der jüngsten Vergangenheit wirkliche Lyrik war. Denn sonst wäre es jetzt überflüssig, auf ihre Gebrauchsfähigkeit wörtlich hinzudeuten.

(Zitiert nach: Erich Kästner, Zeitgenossen, haufenweise, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1998, S. 88)

Kästner im Dritten Reich

1930 und 1932 erscheinen zwei weitere Gedichtbände: Ein Mann gibt Auskunft und Gesang zwischen den Stühlen, die schon sehr überschattet sind von der nahenden Naziherrschaft.

Tatsächlich gehören Erich Kästners Bücher zu denen, die im Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen landen. In Deutschland wird er nicht mehr publiziert. Seine Bücher erscheinen daher in der Schweiz, darunter auch Erich Kästners lyrische Hausapotheke 1936, die eine Auslese der vor 1933 veröffentlichten Gedichtbände enthält und es sogar bis ins Warschauer Ghetto schafft. Marcel Reich-Ranicki erinnert sich in der Gedenkschrift Erich Kästner 1899-1999:

Ich erhielt von meiner Freundin, die später meine Frau wurde, eines der schönsten Geschenke, die ich je in meinem Leben bekommen habe. Sie hatte für mich Kästners 'lyrische Hausapotheke' mit der Hand abgeschrieben und mit Illustrationen versehen.

(Zitiert nach: Zeitgenossen, S. 449)

Wer mag da noch im Begriff Gebrauchslyrik etwas Herabsetzendes sehen?

1942 wird Erich Kästner auch die Möglichkeit zur Veröffentlichung in der Schweiz genommen. Er erhält ein Schreibverbot fürs In- und Ausland. So muss er warten, bis nach zwölf Jahren tausend Jahre Deutsches Reich vorbei sind.

Nach dem Krieg

Bei Durchsicht meiner Bücher erscheint 1946 und ist erneut eine Auslese bereits erschienener Gedichte. Während die Sammlung der Hausapotheke sich mehr mit den menschlichen Befindlichkeiten beschäftigte, holt der Durchsicht-Band die politischen Gedichte Kästners wieder ans Tageslicht.

Erst 1948 veröffentlicht Erich Kästner neues Material, das zum größten Teil während der Nazi-Zeit entstand. Seine Epigrammsammlung Kurz und bündig erscheint mit einem der berühmtesten Zweizeiler der deutschen Literatur: "Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es."

Kästners letzter Ausflug in die Lyrik ist das 1955 erschienene Die dreizehn Monate. Dieser Lyrikband basierte auf einer Auftragsarbeit für die Schweizer Illustrierte Zeitung, bei der jeder Monat mit einem Kästnergedicht gewürdigt wurde.

Das Hauptwerk

Blickt man auf Erich Kästner als Lyriker zurück, so sind die Gedichte aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis 1933 als sein Hauptwerk zu betrachten. Programmatisch für den Inhalt seiner Lyrik ist das erste Gedicht im ersten veröffentlichten Gedichtband Herz auf Taille. Es ist Jahrgang 1899 betitelt und orientiert sich am Lebensweg Erich Kästners.

Der Erste Weltkrieg, revolutionäre Nachkriegswirren und die Hyperinflation sind zu viel Weltgeschichte für einen jungen Mann, der seinen Platz im Leben finden will. Erich Kästner entwickelt daraus einen strikten Anti-Militarismus, aber auch Lebensüberdruss und ein Verzweifeln an der ewig gleichen Dummheit der Menschen.

Die Täuschung

Bekannte Gedichte wie Das Land, wo die Kanonen blühen oder die Sachliche Romanze täuschen, wenn man aus ihnen folgert, dass Kästner nur ein Dichter der harmlos-heiteren Sorte war. Vor allem die beiden Gedichtbände Anfang der dreißiger Jahre (Ein Mann gibt Auskunft und Gesang zwischen den Stühlen) enthalten einiges an bitter-bösem Lesestoff.

In Kurzgefasster Lebenslauf wird die Gnade des Nichtgeborenwerdens noch nett verpackt: "Wer nicht zur Welt kommt, hat nicht viel verloren. / Er sitzt im All auf einem Baum und lacht." Doch schon die Diagnose in Misanthropologie ist vernichtend:

Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,
wieder mal zu folgendem Ergebnis:
Diese Menschheit ist nichts weiter als
eine Hautkrankheit des Erdenballs.

So verwundert es nicht, wenn Ein Mann gibt Auskunft mit der Selbstauslöschung der Menschheit endet. Das letzte Kapitel ist ein Gedicht über ein Bombengeschwader, das im Jahr 2003 alles Leben auf dem Planeten mit chemischen und biologischen Kampfmitteln auslöscht:

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stürzten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Leichen lagen auf dem Asphalt.

Der letzte Gedichtband vor 1933 Gesang zwischen den Stühlen beginnt nur scheinbar harmlos mit dem berühmtem Kakao-Epigramm, in dem Kästner empfiehlt, nicht noch von dem Kakao zu trinken, "durch den man euch zieht".

Was als Einzelstück eine witzige Sprachspielerei auf die Redewendung "jemanden durch den Kakao ziehen" sein könnte, bekommt durch den Zusammenhang mit dem Zeitgeschehen und den anderen Gedichten des Bandes eine bitter-ernste Bedeutung: Deutschland droht im braunen Gebräu zu versinken.

Zur Sinnentleerung im Privaten, wie in Begegnung in einer kleinen Stadt thematisiert, in der ein durch Selbstmord aus dem Leben geschiedener Buchhalter sich als Toter unbemerkt wieder ins Arbeitsleben eingliedert, kommt die Unverbesserlichkeit der Menschheit, die am besten in eine Kubikkilometer-Kiste gepackt und versenkt werden sollte (Ein Kubikkilometer genügt).

Im Marschliedchen sagt Kästner den Nazis ihr Scheitern voraus:

Wie ihr's träumt, wird Deutschland nicht erwachen.
Denn ihr seid dumm, und seid nicht auserwählt.
Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt:
Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen!

Doch insgesamt schließt er mit Das ohnmächtige Zwiegespräch pessimistisch:

Zur Macht gelangt nur, wer die Macht begehrt.
Im winkt sie zu. Ihm gibt sie dunkle Zeichen.
Und ihm befiehlt sie, eh sie ihm gehört:
"Stell unser Bett auf einen Berg von Leichen!"

Ein fiktionaler Krieg im Jahre 1940 wird in diesem Gedicht durch die Erschießung von 22 Generälen zwar verhindert, bevor er beginnt. Aber letztlich ändert sich dadurch nichts, weil die Menschheit in einer Art Naturgesetz verfangen ist:

Man darf die Völker ins Verderben hetzen,
weil das den Regeln ihrer Welt entspricht.
Doch sich der Bosheit hilfreich widersetzen,
das darf man nicht!

Gebrauch machen!

Die Wiederauflage seiner Gedichtbände nach dem Krieg und die Vielzahl der veröffentlichten Auslesen selbst noch nach seinem Tod 1974 in München belegen die Zeitlosigkeit vieler Texte. Erich Kästner verstand als Dichter nicht nur die Gefühlswelt des Menschen, sondern auch seine Schwächen. Kunstvoll übertüncht Kästners Humor dabei seine Bitterkeit, denn Gebrauchslyrik bedeutet nicht zwangsläufig, dass von ihr Gebrauch gemacht wird.

 

Webtipps Erich Kästner Erich Kästner im Internet

Einige der hier erwähnten Gedichte sind bei Holger Münzer vollständig und zum Teil sogar vertont zu finden. Einen ausführlichen Lebenslauf bietet Birgit Eberts Website Kästner im Netz. Auch das Erich-Kästner-Gymnasium in Eislingen hält viele Informationen über den Namensgeber bereit. Die Erich-Kästner-Gesellschaft, das Erich-Kästner Museum in Dresden sowie die Erich-Kästner-Bibliothek in Oberschwarzach sind dem literarischen Erbe Kästners verpflichtet.

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